Geladen
[Kurzgeschichte, veröffentlicht in DUM (Das Ultimative Magazin) #107, 2023]
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Geladen
Ich hatte die Angewohnheit, alle elektrischen Geräte kaputtzumachen. Nicht, dass ich sie herunterwarf oder einen Eimer Wasser drüberschüttete, nein, ich musste sie nur berühren. Dann bestand eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Geräte danach nicht mehr angingen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das machte, aber es passierte. Dass ich damit meinen Mann zum Durchdrehen brachte, ist sicherlich leicht vorstellbar. Immer wenn er ein neues Gerät besorgte, musste es so aufgestellt werden, dass ich nicht darankam. Ich durfte auch keines seiner Heiligtümer saubermachen, das machte er selbst. Beinahe das einzige, das er selber machte, aber immerhin.
Vor kurzem habe ich mich sogar selbst in meinem Auto gefangen. Ich habe die Tür berührt, eher aus Zufall, und die Schlösser gingen zu. Jetzt ist allgemein bekannt, dass Autos von innen immer zu öffnen sein müssen, doch in meinem Fall war das anders. Ich saß fest. In meiner Not fuhr ich zur Werkstatt, und der Mechaniker, dem ich durch die Scheibe erklärte, was die Sachlage ist, lachte nur. Das sei nicht möglich, meinte er. Und doch wunderte er sich nicht schlecht, als er es mit seinen eigenen Augen sah. Er hingegen konnte die Türe von außen einfach öffnen und ließ mich aussteigen. Er stieg ein und versuchte die Verriegelung, die einwandfrei funktionierte. Daraufhin stieg ich wieder ein und erneut war ich gefangen.
Seither fuhr ich mit einem leicht geöffneten Fenster, damit Luft ins Auto reinkam, selbst wenn ich gefangen war. Zu Hause hatte ich für mich selbst Laufwege definiert, in denen ich keinen Schaden anrichtete. Und mein Handy war so alt, dass ich es wohl gar nicht kaputter machen konnte, als es schon war.
Mein Mann kam vor kurzem auf den Gedanken, dass ich vielleicht kaputte Geräte wieder ganz machen könne. Quasi wiederbeleben. Doch das ging schief, kein einziges wollte nach meiner Berührung wieder funktionieren. Dafür bekam mein Mann mehrere Stromschläge von mir ab, sodass wir entschieden, uns nicht mehr zu berühren, wenn wir beide auf dem Teppich im Wohnzimmer standen.
Die Angst, elektrische Dinge zu zerstören, die unter Umständen nicht mal uns gehörten, ließ mich sehr an mir selbst zweifeln. Ich zog mich immer mehr zurück und lebte in meinem Haus, in dem ich die Wege kannte.
Bis vor einer Woche, als ich nach dem Duschen und mit nassen Füßen im Flur auf den Boden fiel. Ich schlug hart auf und blieb für einen Moment liegen, mit allen Vieren von mir gestreckt. Es schien nichts gebrochen zu sein, zumindest hatte ich nur leichte Schmerzen. Was aber vor allem anders war, war, dass ich plötzlich ein sonderliches Gefühl in meiner Bauchgegend hatte. Es war, als ob ich entladen wurde. Wie genau, weiß ich nicht.
An diesem Tag konnte ich alles berühren, ohne dass ich eine gewischt bekam. Ich war mir noch nicht klar darüber, ob der Sturz die Heilung war, denn am nächsten Tag kam die elektrische Spannung wieder. Also legte ich mich erneut auf den Boden im Flur, streckte alle Viere weit von mir und entlud mich.
Ich hoffe inständig, dass mich niemand außer meinem Mann dabei sieht, wie ich mich im Flur entlade. Erklären kann ich sowieso keinem, was da jeden Tag passiert. Aber Hauptsache, ich kann wieder einigermaßen normal leben.