Ohne Hoffnung

Ohne Hoffnung

[Kurzgeschichte, veröffentlicht in Das Rad der Zeit #4, 2012, 2024]

Link

Ohne Hoffnung

Als ich merke, dass ich mein Portemonnaie verloren habe, breche ich in Panik aus. Überall suche ich nach dem verdammten Teil, ohne in diesem Moment zu ahnen, dass es nicht die Schuld des Portemonnaies ist, sondern meine eigene. Ich habe das Teil verschludert – so einfach ist die Wahrheit. Doch in diesem Moment interessiert mich weniger die Wahrheit, sondern einfach nur, wo dieses verdammte Teil steckt.

Ich durchsuche meine gesamte Einzimmerwohnung – mehrmals –, meine gebrauchten und meine frischen Klamotten – auch mehrmals –, reiße alle Schränke auf, durchsuche selbst jene Ecken – mehrmals –, in denen ich die letzten Tage nicht einmal mehr war, und trotzdem bleibt das Portemonnaie verschwunden. Spurlos, wie man so sagt.

Ich bin fertig, absolut fertig! Ich schmeiße mich auf mein Bett, habe Kopfschmerzen. Wo zum Geier ist das verdammte Teil!? Warte, sage ich mir laut und richte mich auf. Wo warst du die letzten Stunden – und zwar seitdem du das letzte Mal absolut sicher das Portemonnaie in den Händen gehalten hast?

In diesem Moment fällt es mir brühend heiß ein: Es ist nicht nur so, dass das Portemonnaie weg ist, nein, auch noch mein halber Monatslohn befindet sich in diesem verdammten Teil. Es ist bestimmt geklaut worden! Das verdammte Teil kann nur geklaut worden sein! Von einem, der weiß, dass ich meinen halben Monatslohn im Portemonnaie deponiert habe.

Doch wer könnte es sein? Wer von meinen Bekannten oder Kollegen könnte es sein? Meine Güte! Es sind einfach zu viele!

Polizei! Das Wort schießt mir durch den Kopf, doch ich muss es gleich wieder verdrängen, denn mein Aufenthalt ist nicht legal in diesem Land. Also bleibt mir der Weg über die Ämter versperrt!

Wo nur ist dieses verdammte Teil? Und wenn ich es doch verloren habe? Wenn es einer findet, und… Nein, wenn das Portemonnaie einer findet, wird er das Geld einstecken und das Portemonnaie wegwerfen! Ist doch klar! Wer behält nicht einen halben Monatslohn von einem anderen, wenn er ihn findet? Ich würde es ja wahrscheinlich auch machen! – Natürlich würde ich es auch machen! Bei der Summe, die da drin ist! Auf jeden Fall!

Okay, das verdammte Teil und das Geld sind weg! War noch irgendwas drin, das wichtig war? Ach, du meine Güte! Ja, da war noch die Karte meines Arbeitgebers und meine Bahnfahrkarte drin! Gut, die eine ist sowieso bald abgelaufen – der Monat ist fast vorüber. Aber wenn ich meinem Chef beibringen muss, dass ich wieder eine Karte verloren habe – ist ja nicht die erste –, dann wird er mir bestenfalls den Kopf abreißen und schlechtestenfalls mich rausschmeißen! Und dann? Was mache ich, wenn ich den Job verliere? Wovon soll ich leben? Was soll ich essen? Wie soll ich die Miete bezahlen, die so unverschämt hoch ist, dass ich…

Beruhige dich! Vielleicht findest du das Portemonnaie doch noch! Du musst einfach nur alles noch mal durchsuchen! Und die Wege ablaufen, die du seither…

Es klingelt! Warum klingelt es? Mein Handy! Mein Handy! Wo steckt das verdammte Teil nur? Ach da!

Ja! Hallo?! […] Sie haben mein Portemonnaie gefunden? Wo denn? […] Stimmt, da war ich gestern! Da habe ich es also verloren! […] Ja, also, da müsste eine Karte meiner Firma drin sein – so eine weiße –, ein paar Telefonnummern und eine Bahnkarte. […] Das Portemonnaie ist schwarz! […] Wie!? Selbst das Geld ist noch drin?! […] Wo kann ich es denn abholen kommen? […] Warten Sie, ich schreibe es mir gerade auf! […] Sie sind ein Engel! […] Bis später! Und danke! Vielen Dank! Vielen Dank!

Ich lege nach dem letzten Danke auf und schmeiße mich aufs Bett. Dass es solche Menschen doch noch gibt! Wer hätte das denn geahnt! Ich jedenfalls nicht!

Ich atme tief durch, schließe die Augen und freue mich einfach nur. So stark, wie ich es schon seit langem nicht mehr getan habe…