Wissen verkauft

Wissen verkauft

[Kurzdrama, veröffentlicht auf textmanege.com, 2024]

Textmanege: Link

Wissen verkauft

Kurzdrama

Person

Ein Ehemann.

Set

Es wird außer einem Stuhl nichts an Requisite benötigt. Die Bühne kann im Prinzip überall dort sein, wo der Stuhl stehen kann und ein wenig Platz zum Hin- und Herlaufen ist.

Einziges Bild

Der Ehemann kommt von der Seite und bringt seinen Stuhl mit. Indem er diesen mit einer gehörigen Portion Unmut auf den Boden knallt, blickt er zur Seite. Man sieht, dass irgendetwas in ihm vorgeht.

Ehemann erst langsam, dann sich in Rage redend:

Es ist unfassbar! Diese Welt ist unfassbar! Kratzt sich am Kopf. Gestern noch… Stockt, hebt seinen Kopf. Gestern noch saß meine Frau vor dem Computer und hatte keine Ahnung, was sie bestellen soll! Nichts! Außer, dass sie scheinbar wusste, dass sie was braucht! Dann findet sie was Sinnloses in meinen Augen, bestellt es und heute ist es schon da! Geliefert! Nach einem Tag! Schüttelt seinen Kopf. Ob das noch alles seine Richtigkeit hat? Fährt sich über den Kopf. Ich habe den Zusteller gefragt, wie die das machen! Wie bekommen die das hin, dass irgendwer etwas bestellt und es dann am nächsten Tag da ist? Kurze Pause. Ich meine, die Sachen liegen ja nicht in der Nachbarschaft herum! Einfach so! Weil der Verkäufer weiß, dass meine Frau sich heute lila Schuhe bestellt! Ruhiger. Ich komme nicht dahinter, wie das funktionieren soll! Setzt sich auf den Stuhl, kurze Pause. Dann. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir als Kinder immer mit den Eltern in die Städte fahren mussten, um überhaupt eine größere Auswahl zu haben! Betont. Was nicht da war, war nicht da! Und man wusste auch nichts davon! Ich meine, wir wussten halt viel weniger. Damals! Und mit damals meine ich nicht vor hundert Jahren! Nein, vor zwanzig Jahren. Quasi gestern! Schüttelt seinen Kopf, schaut ins Publikum, sucht mit seinem Blick. Heute ist das anders! Also, meine Frau weiß alles! Die kennt Sachen, von denen ich nicht mal wusste, dass sie überhaupt existieren können! Kurze Pause. Und dann bestellt sie diese Dinge auch noch! Kann man ja zurückschicken, wenn’s einem nicht gefällt! Portofrei! Wenn sie die Sachen nicht will! Sagt sie immer. Unfassbar! Kurze Pause. Steht auf und geht langsam um den Stuhl herum. Derweil. Ich hingegen frage mich, wie die das machen! Wie bekommen die das hin, dass meine Frau weiß, was ich brauche!? Wie machen die das? Ist inzwischen um den Stuhl herum und stützt sich auf die Lehne des Stuhls. Diese Frage habe ich mir gestellt! Immer und immer wieder stelle ich mir diese Frage! Und bin ja nicht dumm! Deswegen habe ich mir einen Plan zurechtgelegt und meine Frau dabei beobachtet, wie sie im Internet einkaufen geht. Plötzlich laut. Und was habe ich da gesehen? Überall, wo sie einkaufen geht, sieht sie nur Schuhe und Handtaschen! Keine Jacken! Nein! Auch keine Blusen! Schuhe und Handtaschen. Kurze Pause. Ich war perplex. Perplex! Die Verkäufer wissen, dass meine Frau vor allem auf Schuhe und Handtaschen steht! Die wissen das! Ohne sie jemals gesehen zu haben! Wie sie das bloß machen?! Kurze Pause. Verschwörerisch. Ich habe die beobachtet, die im Internet. Die wissen sogar, dass meine Frau nach lila Schuhen sucht! Die wissen sogar ihre Größe! Die wissen alles! Kurze Pause. Ich bin mir einhundertprozentig sicher, dass die auch schon wissen, was meine Frau morgen sucht! Oder übermorgen! Oder nächstes Jahr! Ruhiger. Das ist das beste Geschäftsmodell, das ich kenne! Warum sollten die Käufer nicht heute schon wissen – und vor allem kaufen! –, was sie erst in fünf, zehn oder zwanzig Jahren brauchen werden?! Das ist genial! Und so einfach! Wieder verschwörerisch. Man muss nur wissen, wie die Menschen ticken! Wie sie drauf sind, was sie machen! Was sie wollen! Dann klappt das schon von alleine mit dem Verkaufen! Nickt ein wenig mit dem Kopf, ehe er um den Stuhl geht und sich wieder hinsetzen will. Doch kurz zuvor hält er inne und dreht sich zurück zum Publikum. Ach ja! Die lila Schuhe meiner Frau! Die gingen übrigens zurück, weil sie ihr nicht gefielen! Ich fand sie eigentlich ganz nett! So mit ihrem kleinen Röschen auf der Schnalle! Kurze Pause. Das scheint das einzige zu sein, was das Internet noch nicht kann! Es kann nicht dafür sorgen, dass der Geschmack meiner Frau mit meinem übereinstimmt! Setzt sich hin. Zum Glück ändern sich manche Dinge nie! Auch nicht mit dem Internet!

Indem der Ehemann lächelnd nickt, blickt er ins Publikum. Alle ab.