Frisch gedruckt

Frisch gedruckt

[Kurzgeschichte, veröffentlicht in Fantasia Magazin 1089e, 2023]

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Frisch gedruckt

Es ist so weit. Er kann es nicht mehr aufschieben. Die Entscheidung, seine Entscheidung muss jetzt fallen, sonst ist der Zug für ihn abgefahren.

Aaron setzt sich aufs Bett, steht wieder auf, setzt sich wieder hin. Steht wieder auf, geht durchs Zimmer, setzt sich zurück aufs Bett, macht sich lang, steht wieder auf, geht durchs Zimmer. Sie beobachten ihn, das ist ihm bewusst. Sie wissen alles über ihn, von ihm. Was er ihnen nicht erzählt hat, haben sie aus anderen Quellen. Er kann sich sicher sein, dass sie sogar mehr von ihm wissen als er selbst.

Die Uhr im kleinen Vorbereitungsraum tickt sanftmütig, kann Aaron aber nicht beruhigen. Ganz im Gegenteil, der Gleichschritt macht ihm bewusst, dass er sich nicht gegen das Voranschreiten zu erwehren vermag, ihm nicht entfliehen, die Zukunft nicht verhindern kann. Er muss die Entscheidung treffen. Er muss. Es gibt keine Freiheit, nicht zu wählen.

Wie aus dem Nichts trifft er die Entscheidung, geht mit Macht zur Türe, drückt die Klinke runter, tritt nach draußen in den Flur und nickt einem Mann zu, der in einem weißen Kittel gekleidet auf Aarons Erscheinen gewartet hat. Ohne ein Wort zu sagen, dreht sich der Mann um und geht den Flur entlang. Aaron hält Kontakt zu dem zügig schreitenden Mann und gelangt mit ihm zusammen an eine Türe, die durch das Vorhalten einer Magnetkarte mit einem elektrischen Zischen aufgeht. Der weißkitteltragende Mann lässt Aaron den Vortritt, und plötzlich ist die Unsicherheit zurück. Soll er noch mal abbrechen? Sie haben ihm gesagt, dass es die letzte Chance sei, dieses Experiment durchzuführen – ansonsten würden sie sich den nächsten Probanden suchen.

Will er berühmt werden? Will er der erste Mensch sein, der von einem 3-D-Drucker aufgelöst und an einem anderen Ort wieder ausgedruckt wird? Mit Mäusen und Affen hat es ja bereits schon geklappt, doch der Mensch scheint aufgrund seiner Komplexität anders zu sein. Obwohl ihm alle immer wieder beteuerten, dass der Mensch am Ende auch nichts anderes als eine Maus oder ein Affe ist. Materialtechnisch gesehen.

Dort vor Aaron ist das metallische Wannenbett, das wie ein Sarg aussieht. Aus kaltem, blankpoliertem Metall. Er weiß, was passieren wird. Eine Flüssigkeit wird ihn vollständig umgeben. Er wird vorher eine Tablette nehmen, die ihn für zwanzig Minuten ohne Atmung überleben lässt. Eine der grundlegend nötigen Erfindungen für diese Art des Experimentes – das Versorgen des Körpers über die Sauerstoffspeicher der eigenen Zellen, um für einen kurzen Zeitraum in einem luftleeren Raum existieren zu können. Wenn die Flüssigkeit des Druckers um ihn herum ist.

Aaron sieht die Tablette auf einem nicht sehr besonderen Teller vor ihm liegen. Er greift sie sich, zögert. Laut Aussage der Forscher ist er der ideale Versuchskandidat, auch wenn es noch mehr als nur ihn gibt. Aber seine Punktzahl war die höchste von denen, die schon eine hohe Punktzahl besitzen.

Weil er nichts zu verlieren hat. Nichts außer seinem Leben. Wenn er bei dem Versuch stirbt, wird er zu einer Schlagzeile. Wenn er überlebt, wird er zu einer Ikone. Ein neues Leben, in Reichtum und mit großer Aufmerksamkeit, die ihm entgegenschlagen wird. Wie die Tablette wohl schmecken wird?

Aaron schließt die Augen, unterdrückt jeden Gedanken, den sein Bewusstsein aufkommen lassen will, und wirft die Tablette ein. Sie schmeckt nach nichts. Aaron braucht auch kein Wasser, er schluckt sie einfach so herunter. Das Aufschlagen auf den Boden merkt er schon nicht mehr.