Die Revolution des Pöbels

Die Revolution des Pöbels

[Kurzgeschichte, veröffentlicht in Unser dummer Pöbel meint/ etcetera 47/ März 2012]

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­­Die Revolution des Pöbels

Als sich der Pöbel entschied, seine Meinung lautstark und unaufhaltsam kundzutun, geriet das gesellschaftliche Leben mit einem Schlag aus den Fugen. Die politische Klasse wurde aus dem Regierungsgebäude mit lauten Skandierungen und Gewaltexzessen bis zur Niederbrennung der öffentlichen Leihbibliothek getrieben, wie schlachtreifes Vieh durch die Straßen gehetzt, um vor den Kameras der Weltöffentlichkeit unter unmenschlichen Bedingungen brutal abgeschlachtet zu werden. Die zusehenden und keineswegs wertfreien Journalisten würden später sagen, dass sich die Menschen gegen die Gewalt der korrupten, unterdrückenden politischen Klasse gewehrt hätten, dass sie endlich ein Ventil gefunden hätten.

Doch anstatt sich auf dem Faktum auszuruhen, alle Köpfe der Hydra abgeschlagen zu haben, um zu kontrollieren, welche neuen Köpfe nachwachsen, meint der dumme Pöbel nun, dass es an der Zeit wäre, dass ihm die Gesellschaft das zurückgeben müsse, was sie ihm über die letzten Jahre gestohlen hätte. Wo aber dieses Gestohlene klauen, wenn nicht bei den Menschen, die vielleicht vorher von dem alten System profitiert hatten? So klaut der neue Pöbel beim alten Pöbel, zerstört die Wertgegenstände des alten Pöbels, schleift die Frauen des alten Pöbels auf die Straße und lässt diese spüren, wie sie sich in den letzten Jahren gefühlt haben.

Der Pöbel meint nun, dass er die politische Klasse wäre, und skandiert lauthals, dass man nun alles besser machen würde als die Machthabenden zuvor. Aber genauso schnell, wie er zur Macht gelangt ist, so schnell muss der Pöbel feststellen, dass er nicht die politische Intelligenz besitzt, um eine früher in sich organisierte und nun in einem heillosen Durcheinander aufgegangene Gesellschaft führen zu können. Was also tun?

Dabei bleibt es dem dummen Pöbel, die einfachste aller möglichen Lösungen zu wählen: sich vollständig aus der politischen Verantwortung herauszuzuziehen und wieder zum einfachen Pöbel zu werden.

Dass es dabei zu einem Machtvakuum kommt, das der dumme Pöbel weder erkennen noch vermessen noch ausfüllen kann, ist für den Pöbel als gesellschaftliche Gruppe nur insoweit interessant, als dass sie eine Machtstruktur wie zuvor nicht wiederhaben will. Alles andere ist ihnen im Grunde erst einmal egal.

Sogleich fängt der Pöbel in sich geschlossen an, als alte Struktur in der Gesellschaft zu funktionieren. Spätestens einen Monat nach Abschaffung der alten politischen Klasse pöbelt der dumme Pöbel erneut auf den typischen Pöbel-Plätzen der Innenstädte herum und sucht neue, alte Pöbel-Beschäftigungen. Dabei meint der dumme Pöbel, dass dies sein Naturrecht sei – der Pöblizismus ist wiederbelebt.

Publizisten – nicht zu verwechseln! – stellen sogleich fest, dass es für den Pöbel eine untergeordnete Rolle spielt, wer die neue politische Klasse ist, und indem der Pöbel die neue Regierung duldet, kehren sie zu ihrem Leben zurück, solange, bis es wieder an der Zeit ist, den dummen Pöbel nach seiner Meinung zu fragen.