Gefangen im Nichts
[Kurzgeschichte, veröffentlicht in Fantasia Magazin 1070e, 2023]
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Gefangen im Nichts
Ich saß in der Weltraumstation Theta-Gamma-Phi_3 und trank etwas, das in mir brannte und umgehend meine Sinne benebelte, denn das, was ich auf meiner Reise ins Nichts erleben musste, war etwas, das nur sehr schwer zu verdauen war – wie dieses Getränk, das eine Mischung aus den übelsten Abscheulichkeiten des hiesigen Planetensystems schien.
Ich wollte nur nach Hause, auf meinen Heimatplaneten, wenn man diesen Klumpen voller metallischer Elemente überhaupt Heimat nennen wollte. Andere quatschen dauernd über Heimat und meinen damit den Ort, an dem sie in dieses Universum geworfen wurden, und so zog ich nach und nannte den Planeten, zu dem ich ursprünglich niemals wieder zurückkehren wollte, meine Heimat.
Tatsächlich, als ich auf der Landeplattform von Theta-Gamma-Phi_3 im Orbit eines unbewohnbaren Planeten ohne nennenswerte Ressourcen – außer Gravitation – den Ausgang suchte, dachte ich an meine Heimat, und es erwuchs in mir etwas, das ich unbekannterweise als Sehnsucht identifizierte. Ich wollte zu meinem Heimatplaneten zurück, von dem mehr als neunhundertneunundneunzig von tausend Befragten sagen würden, dass es dieser Planet nicht mal in die Kategorie der niemals zu besuchenden Planeten schaffen würde. Dafür gab es aber auch viel zu viele zu besuchende Planeten, angefangen von den Exos, die so nahe an den Schwarzen Löchern waren, dass es jeden Sonnenumlauf die absurdesten Lichtspiele gab, oder jene Planeten, um die mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit Gesteinsbrocken umhertanzten, dass es nur sehr wenige Piloten gab, die unfallfrei durch diesen Schirm hindurchkamen – wobei deren Planetenoberflächen selbst oft recht langweilig waren, wie ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen konnte.
Nachdem ich mich mit meinem Vater überworfen hatte, der der Vorsteher der dreizehn Kolonien war, die sich in diesen Weiten des Alls zusammengeschlossen hatten, um einen wirksamen Schutz gegen marodierende Plünderer aufzubauen, ging ich auf eine lange Reise durch die angrenzenden Galaxien, besuchte Orte, zu denen ich schon immer hinwollte, und gelangte an Orte, die in keinem Reiseführer stehen, weil sie niemals von einem normal denkenden Wesen besucht werden würden. Ich aber wollte wissen, welche Geheimnisse die verschiedenen Welten offenbarten, und das einzige, das ich dadurch lernte, war, dass es nirgendwo so schön sein konnte wie dort, wo man sich wohlfühlte. Also ging ich auf die Suche nach diesem einen Ort, wo immer er auch sein mochte, doch bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich entschied, wieder zu meinem Heimatplaneten zurückzukehren, fand ich diesen Ort nirgendwo – er schien nur im Nichts zu existieren.
Einige Planeten waren sehr angenehm gewesen; das Klima, die Lebewesen, die politische oder gesellschaftliche Grundordnung, alles passte, und dennoch wollte ich nicht länger als eine Zeitlang auf diesem Planeten bleiben, bis es mich weiterzog. Eine Rastlosigkeit, deren Ziel ich nicht kannte, bis zu dem Zeitpunkt, als ich durch Zufall über meinen Heimatplaneten in einem Magazin für Sternenreisende las, und obwohl der Artikel kaum ein gutes Haar an dem Planeten ließ, spürte ich ein Kribbeln in meiner Magengegend, etwas, das ich bisher nicht gekannt hatte. Ich forschte nach der Herkunft und stellte fest, dass es sich um die althergebrachte Form des Heimwehs handelte.
Die Bedienung der Weltraumstation füllte das vor mir stehende Behältnis mit demselben grausamen Gebräu und deutete an, dass ich bei einem zweiten Wiederauffüllen einen Gutschein für ein Frühstück auf einer Partnerraumstation erhalten würde. Wenn das Frühstück allerdings genauso übel wie der Drink war, dann konnte ich darauf verzichten, und ob ich jemals zu einer anderen Weltraumstation gelangen würde, die zur gleichen Kette gehörte, stand in den Sternen.
Ich lachte über das Wortspiel und mehrere Kreaturen, die allesamt auf der Durchreise waren und für die das Lachen eines anderen eine Bedrohung darstellte, schauten zu mir herüber und stellten nur mittels ihres Wesenstranskribierers fest, dass Lachen von Wesen wie mir im Allgemeinen keine Bedrohung darstellte. Sie wandten sich entspannt wieder ihrem Getränk zu, obwohl ich ahnte, dass nur wenige von ihnen die Sicherung ihrer Waffen wieder einprogrammiert hatten.
Ich zog den zweiten Anlauf des scheußlichen Gebräus in einem Zug hinunter, und es brannte lichterloh an allen Ecken und Kanten in meinem Kopf. Es schien, als würden mehrere Supernovae vor meinem geistigen Auge stattfinden, und die Transmissionsphase zwischen bewusstem Erleben und benebeltem Funktionieren auf Trieb- und Instinktebene war bei mir eine Grenzwertfunktion gegen Null.
Ich besitze nur wenige Erinnerungen an die Zeit nach dem zweiten Drink, und als ich aufwachte, lag ich an einem Ort zwischen stinkendem Abfall und war heilfroh, dass sie mich nur ausgeraubt, zusammengeschlagen und in den Müll geworfen hatten, anstatt mich in jeglicher Form elektromagnetisch zu frittieren. Es brauchte eine Weile, ehe ich mich aus dem Unrat der letzten Zeit befreit hatte, und ich war mir plötzlich nicht mal mehr sicher, dass es sich um einfachen oder um den Unrat eines anderen Wesens handelte.
Am Ende war es mir egal, denn ich stand auf und stank bis auf den Planeten, in dessen Umlaufbahn wir gerade kreisten. Ich besaß genug Kraft, um mich an eine Ecke zu stellen und auf eine Gelegenheit zu warten. Als ein Shunk vorbeikam und zufällig niemand hinsah, riss ich ihn in die Gasse hinein, legte ihn mit ein paar Schlägen kalt und nahm seinen dürftigen Besitz an mich. Nun hatte ich weniger als drei Einheiten Zeit, um von dieser Weltraumstation zu verschwinden, denn jeder registrierte Körper wurde innerhalb einer bestimmten Frist gescannt – und dass ein Shunk sich nicht registrierte, hatte ich noch nie erlebt, da diese Wesen sich sogar registrierten, wenn sie die einzigen Lebewesen auf einem felsigen Planeten waren.
Ganz unvermittelt brach ich zusammen. Etwas hatte mich in den Rücken getroffen und mit jedem Austausch von Sauerstoffatomen gegen Stickstoffmonoxid fror mein Innerstes weiter zu. Als wenn ich diese Situation nicht schon kennen würde, war es mir aber wieder einmal, dass ein Teil von mir starb. Immer starb ein Teil von mir, wieder und wieder, bis ich mich irgendwann selber nicht mehr kennen würde.
Als ich aufwachte, lag ich auf dem Boden außerhalb der Weltraumstation, in einem Transitbereich für Sauerstoffverwerter. Draußen, vor dem Bereich, stand ein Wärter, von dem ich wusste, dass er mich auch ohne funktionierende Augen die ganze Zeit anstarrte. Ich starrte so lange zurück, bis der Wärter in meinem Geist plötzlich explodierte und mit seinen Innereien die gesamte Kuppel des Bereichs bedeckte. Faser um Faser eines gräulichen Schleims schmierte den Transitbereich hinab, bis es vorbei war.
Ich wachte auf und hatte das Gefühl, dass ich eben aufgewacht war, ohne zu wissen, dass ich nicht aufgewacht war, sondern es nur glaubte, aufgewacht zu sein. Ich vergewisserte mich, dass ich dieses Mal nun wach war, und erkannte den Ort wieder, an dem ich niedergeschossen worden war. Ich erinnerte mich an die letzten Gedanken an meine Heimat und wurde wehmütig – ein Gefühl, das mir inzwischen so wohlvertraut war.
Da ich keine Ahnung hatte, wohin ich mich als Nächstes wenden sollte, kramte ich in meiner Tasche und fand einen Gutschein, der mir nichts sagen wollte. Es war ein Gutschein für ein Frühstück auf einer Partnerweltraumstation, und da ich gerade nichts Besseres zu tun hatte, ging ich zum Weltraumabflugterminal, suchte mir einen Billigflug zu dieser Weltraumstation und stieg in den Raumgleiter, von dem ich mir kaum sicher sein konnte, dass dieser beim Flug nicht auseinanderbrach. Aber so ist das nun einmal, wenn man auf Billigflieger setzt, sagte ich mir und studierte die überteuerte Snackliste, von der ich gequetschte Sandalierwürmer in Krkrksauce bestellte – Reproduktionsessen, wie immer. Enttäuschung, einfach überall im All.