Salazar wacht auf

Salazar wacht auf

[Kurzgeschichte. Veröffentlicht in Fantasia 1230e. 2025]

Magazin

Salazar wacht auf

Es war ein Morgen wie aus Wachs gegossen, träge tropfend von der Zimmerdecke, als António de Oliveira Salazar, Ex‑Premier, Ex‑Diktator, Ex‑Realist, die Augen aufschlug und feststellte, dass das Licht in seinem Schlafzimmer eine eigentümlich theatralische Qualität besaß, als hätte jemand den Sonnenaufgang auf eine Pappwand gemalt und mit einem Schieberegler aus dem Hause Philips simuliert, dass das Tageslicht zurückgekehrt sei, um seiner Rückkehr ins Leben einen würdevollen Rahmen zu verleihen, der sich irgendwo zwischen Monarchie und Marionettentheater bewegte.

Der erste Mann, den er sah – ein rundlicher Herr in zu großer Uniform mit Goldstickereien, die selbst Napoleon als übertrieben empfunden hätte – verbeugte sich mit einem graziösen Schwung, wie man ihn sonst nur von Opernsängern in der dritten Verneigung kennt, und sprach mit einer Stimme, die wie ein Blätterrascheln in Zinnsoldatensingsang klang: „Exzellenz, das Vaterland atmet auf, Euer weiser Schlaf hat den Lauf der Dinge nicht unterbrochen, wir haben regiert, als wären Sie da – doch nun, da Sie zurückgekehrt sind, bitten wir demütigst um Ihre Anweisungen, o Leuchtturm der Zivilisation!“

Salazar, dessen Gedächtnis sich noch zwischen Alptraum, Anästhesie und Altportugal bewegte, murmelte etwas Unverständliches über die Preise für Stockfisch und verlangte dann nach den neuesten Berichten aus Angola, woraufhin drei Ministerdarsteller in die Kammer traten, mit Aktenkoffern voll leerer Seiten, auf denen nichts stand als die Worte „Hier könnte Ihre Politik stehen“, fein säuberlich kalligraphiert auf Büttenpapier, das man eigens aus dem Nachlass eines verstorbenen Graphologen geerbt hatte, der der Regierung noch im Tode seine Handschrift leihen wollte.

Die nächsten Tage, die sich wie ein langgezogenes Zitat aus einer vergessenen Tragödie anfühlten, waren erfüllt von vorsichtigen Auftritten der sogenannten Übergangsregierung – tatsächlich ein Ensemble ehemaliger Rundfunksprecher, Theaterschauspieler auf Staatskosten und mindestens einem Zauberer aus Estoril – die alles daran setzten, dem erwachenden Diktator das Gefühl zu geben, er sei nie fort gewesen, nie entmachtet worden und zu keiner Zeit länger bewusstlos gewesen, sondern habe lediglich eine kurze „Reflexionsphase im Exil des Bewusstseins“ durchlebt, wie es der sogenannte Kulturminister nannte, der in Wahrheit ein arbeitsloser Operettenbassist war und wenigstens bei seiner Rede schön sonor klang – wenigstens!

Jeden Morgen wurde Salazar eine speziell angefertigte Zeitung überreicht, deren Schlagzeilen mit einer Inbrunst von glorreicher Rückständigkeit glänzten, dass einem schwindlig wurde: „Salazar besiegt erneut kommunistische Wolkenbildung über dem Tejo!“, „Portugal unter der Ägide des Ewigen: Brotpreise stabil, Moral erhöht, Jugend in Formation!“ – und sogar ein feuilletonistischer Nachruf auf einen nie existenten Putschversuch wurde gedruckt, den der Diktator angeblich im Traum vereitelt hatte, indem er im Schlaf einen Befehl murmelte, der so eindeutig war, dass selbst ein taubes Pferd auf ihn gehört hätte.

Die angeblichen Minister tanzten einen Spagat zwischen Schauspiel und Nervenkrise: sie mussten jeden Tag neue Lügen erfinden, die sich innerhalb des kunstvoll gesponnenen Narrativs bewegen durften, ohne dabei logische Inkonsistenzen zu erzeugen, die selbst ein halb benebelter Ex‑Diktator hätte bemerken können – etwa, dass die Karten im Besprechungsraum veraltet waren, der Radiomoderator sich verplapperte („Willkommen zur Nachrichtensendung aus dem Jahr… ähm… dem vierunddreißigsten Regierungsjahr Ihrer Exzellenz!“) oder dass plötzlich alle Uniformen von gestern auf heute auf barocke Knöpfe umgerüstet wurden, weil Salazar angeblich in einem Traum „die Rückkehr der goldenen Knopfkultur“ befohlen hatte.

Mit der Zeit gewöhnte sich der alte Mann an das neue Theater seines Lebens – ja, er begann es zu genießen, dieses Regieren ohne Widerstand, seine Gebote ohne Gefahr und jenes herrliche Schweben durch ein Land, das nur existierte, solange niemand es hinterfragte, eine Republik aus Papier, Theaterblut und feierlich aufgetragenem Pathos, so dicht gewoben wie die Teppiche in seinem ehemaligen Amtssitz.

Er hielt Reden an die Nation, die aufgezeichnet und im Keller abgespielt wurden, wo ein Grammophon seine Stimme an die Ratten übertrug, während oben seine Pflegekräfte pflichtschuldig nickten und begeistert klatschten, als hätte er soeben den Weltfrieden erklärt oder den richtigen Weg zur Heiligsprechung Portugals gefunden.

Einmal ließ er das „Ministerium für Sonnenschein“ gründen, dessen einziger Auftrag darin bestand, wetterbedingte Kritik am Regime zu unterdrücken – ein Minister wurde eingestellt, ein gewisser Senhor Barroso, der vorher beim Wetterbericht gearbeitet hatte und jetzt verantwortlich war für das tägliche Ausrufen des „ideologischen Blauhimmels“, auch bei Sturmflut.

Ein anderes Mal verfügte Salazar, dass die portugiesische Sprache von Fremdwörtern zu reinigen sei, woraufhin sich die Schauspielerregierung gezwungen sah, sämtliche französischen Möbel aus seinem Gemach durch rustikale, aus urportugiesischem Kork gefertigte Pendants zu ersetzen – was zur Folge hatte, dass der Diktator mehrfach an einem der neuen Stühle kleben blieb und die Minister erklären mussten, das sei ein patriotisches Zeichen für „Verwurzelung im Nationalen“.

Doch auch der größte Vorhang fällt einmal – und so kam der Tag, an dem Salazar, ausgerechnet während einer improvisierten Sitzung über „die Einrichtung einer außerparlamentarischen Hühnerverfassung“, kurz innehielt, seine Stirn kraus legte und mit zitternder Stimme fragte: „Sagt… was ist eigentlich aus dem Fernseher geworden?“

Einen Moment lang war es still, so still, wie nur eine Lüge sein kann, die entdeckt zu werden droht – und dann sagte der Gesundheitsminister, ein gelernter Bauchredner, ohne seine Lippen zu bewegen: „Fernsehen wurde auf Ihren Befehl hin abgeschafft, Exzellenz, Sie nannten es eine subversive Laterna magica des Teufels!“

Salazar nickte langsam, so als hätte er sich selbst gerade ein weiteres Denkmal gesetzt, und sprach: „Gut. Dann weiter zur Tagesordnung. Wie steht es um die Neugliederung des Mondes?“

Und so regierte er weiter, der Diktator der eigenen Vorstellung, bis zum letzten Atemzug, im festen Glauben, dass draußen vor seiner Tür ein Portugal stand, das ihn liebte, fürchtete und tief im Herzen verehrte – während in Wahrheit nur noch ein alter Hund namens Carlos unter dem Fenster schnarchte und im Traum vermutlich genauso weiter regierte wie sein Herr.