Venturanischer Xigel

Venturanischer Xigel

[Kurzgeschichte, Science Fiction, veröffentlicht in Fantasia Magazin 523e, 2015]

Venturanischer Xigel

Zoma’r brachte gerade jemanden um. Wenn man denn einen Jemanden nennen konnte, diesen venturanischen Xigel. Und wenn man vom Umbringen eines Venturanischen Xigels sprechen wollte, musste man sich zugleich die Frage stellen, wann dieser Xigel denn technisch gesehen umgebracht war. Darüber stritten sich die Gelehrten der Ventura-Galaxie schon seit ewigen Zeiten und werden wohl auch nie zu einer Lösung des Problems kommen. 

Zoma’rs Problem allerdings war in diesem Moment weniger die Lehrmeinung als das Problem, dass der Venturanischer Xigel, wenn er sich denn einmal in das Raumschiff eingenistet hatte, nur sehr schwer wieder zu entfernen war. An sich wird er den Venturanern nicht gefährlich – dafür hat er einfach keine Waffen –, aber er saugt alles auf dem Raumschiff ab, das ihm in die Energiekreise zwischen den kopfartigen Schleimkugeln kommt. Und da ein Venturanischer Xigel weit über einhundert dieser kopfartigen Schleimkugeln besitzen konnte, war die Frage tatsächlich, wann der Zeitpunkt des Umbringens erreicht war.

Dass es sich um ein Umbringen und nicht um eine gerechtfertigte Entfernung dieses parasitären Mitfliegenden handelte, war in der Galaxierechtsordnung festgehalten worden, nachdem sich Ventura-Aktivisten gegen die herrschende Klasse der Venturanern erhoben hatten, um diese harmlose Art gegen den Aufruf der allgemeinen Ausrottung zu schützen. Doch harmlos war ein Venturanischer Xigel kein bisschen, wie Zoma’r gerade herausfand. Denn die Anzeige seines Raumschiffs mahnte ihn zum Zwischenstopp auf dem nächstmöglichen Planeten, auf dem es irgendeine Form der Verpflegung gab. Die alleinige Schuld konnte nur dieses schier unendlich viele Schleimköpfe besitzende Mistvieh haben, das sich in den Versorgungsleitungen breitgemacht haben musste.

Zunächst dachte Zoma’r, dass es ausreichen würde, ein tripolares Magnetfeld durch die Versorgungsleitungen zu jagen, damit die Modulationen den Schleimbolzen zu kaum mehr als protones Frisée frittierte, doch dieser Venturanische Xigel hatte sich umso mehr gefreut und die Energie aus dem tripolaren Magnetfeld genutzt, um sich noch weiter auszudehnen. Diese Maßnahme löste nicht das Problem, sondern verschärfte es noch mehr! Zu seinem Glück war Zoma’r auf den Gedanken gekommen, dass er die zentrale Bordsteuerung mal fragt, wie man diese Art der Bedrohung besiegen könne. Doch die Antwort war so ernüchternd wie die Aussicht auf Erfolg.

»Na warte!«, dachte sich Zoma’r und begann wie ein tantrusischer Berserker, die einzelnen Schleimköpfe abzuschlagen. Doch wie verändernde und nicht feste Massen meistens auf ein Abschlagen reagieren – sie finden meistens einen neuen Weg, um aus der allgemeinen Grundmasse mit einem neuen Teil auszubrechen. Je mehr Schleimköpfe Zoma’r abschlug oder durch einen Tritt mit seinen Hokan-Stiefeln zerplatzen ließ, desto mehr wuchsen an anderen Stellen nach.

Es war zum Verzweifeln, und wäre da nicht die Meldung gewesen, dass sich bald, inmitten des Nichts des weiten Weltraums, keine einzige Verpflegungseinheit mehr an Bord befinden würde, hätte Zoma’r sich zurückgelegt und das Raumschiff beim nächsten Zwischenhalt von einem Trupp helofistischer Mantrukeln ausräuchern lassen – aber so weit würde er nicht kommen. Irgendwas musste er ja schließlich zu sich nehmen – und Schleim war jetzt nicht gerade seine absolute Leibspeise.

[Einschub: Ist der Schleim eines Venturanischen Xigel überhaupt nahrhaft genug, um einen Venturaner über einen Zeitraum x zu versorgen? Die Antwort ist so ernüchternd wie einfach: Es hat bisher keine andere Kreatur einen solchen Versuch überlebt!]

Zoma’r musste der Realität ins Auge sehen, dass er sich und die Crew, die aus zwei weiteren Venturanern und einem Exil-Tuskope bestand, nur durch ein gewagtes Risikomanöver würde retten können.

Den Exil-Tuskopen, der geistig irgendwo zwischen einem Stück Paraffins-Leichtmetall und einem venganischen Faultreiber lag, konnte er ohne Bedenken für dieses Risikomanöver riskieren. Zoma’r ließ das Zertreten der Schleimköpfe sein und wandte sich dem Lautsprecher zu. Indem er den Exil-Tuskopen zu sich rief und ihm bestellte, dass er das reinrassige HJM3-V4B-Kraut mitbringen solle, überlegte er sich, wie er dem dämlichen Crewmitglied seinen Plan beibringen wollte, ohne dass dieser die Sicherheit aller riskierte – was schon durch die Anwesenheit des Venturanischen Xigels genügend gegeben war.

Der Exil-Tuskope kam angeschlichen, und Zoma’r fiel wieder mal auf, dass dieser ihm immer noch eine Antwort schuldig war, denn seit drei Lichtinterferonen waren sie inzwischen zusammen an Bord, ohne dass sich der Exil-Tuskope einen Namen für sich selbst ausgesucht hatte. Zoma’r hatte sich in der Zwischenzeit überlegt, dass er ihm einfach die Mischung in die handartige Schaufel drücken wollte, um herauszufinden, was dieser damit anstellen würde. Und so machte er es auch.

Zoma’r nahm dem Exil-Tuskopen das Kraut aus der Hand, knetete es zwischen seinen Handflächen, roch daran und schreckte zurück. Es war schlimmer, als er erwartet hatte – und er musste sich beeilen, denn die Wirkung des Krauts im aktiven Zustand hielt nur wenige Augenblicke vor.

Sein Plan war denkbar einfach, und so einfach scheiterte Zoma’r mit seinem Plan, denn als er das aktivierte HJM3-V4B-Kraut den Exil-Tuskopen zurückgab, roch dieser daran und steckte es sich in einen der drei Schlünde, die er besaß. Nun war Zoma’r mit seinem Karulinen am Ende, und zu mehr als einem unendlich tief wirkenden Seufzer kam es nicht mehr.

Der Exil-Tuskope, der das aktivierte Kraut hinuntergeschlungen hatte, veränderte urplötzlich seine äußere Farbe von steinig-grau in ein schräges, augenschädigendes Pink, ehe er zurück zu grau und dann zu einem durchsichtigen Blau wechselte, bevor er platzte. Die Stücke des Exil-Tuskopen ohne Namen und Intelligenz flogen durch das Raumschiff und eine nicht unbeachtliche Menge traf Zoma’r, bevor dieser sich wegdrehen konnte. Auch seine sieben Augen bekamen etwas von der giftigen Masse ab und waren schlagartig verätzt. Schmerzwellen durchzogen seinen venturanischen Körper; schüttelnd taumelte er nach vorne, rutschte auf dem aufgetretenen Schleim des Venturanischen Xigels aus und stürzte diesem in einer Art und Weise entgegen, dass es fast schon wieder gewollt aussah.

Das letzte, das Zoma’r in seiner Existenz als Venturaner mitbekam, war, dass sein Körper in eine heiße Lache Schleim eingetaucht wurde, ehe er begann, nach und nach in seine Kleinstbestandteile absorbiert zu werden. Wenige Sekunden später war Zoma’r eine in verschiedene Energieformen verteilte Masse, die in der Folge zur Ausbreitung des Venturanischen Xigels beitrug.

[Einschub: Haben es die beiden anderen Crewmitglieder geschafft, auf einem anderen Planeten notzulanden? – Es gab da andere Crewmitglieder?]