Streicheleinheit

Streicheleinheit

[Kurzgeschichte, veröffentlicht in Kunterbuntes Frühlingserwachen, 2025]

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Streicheleinheit

Ich gehe über eine Wiese, deren Gras sehr hoch steht, so hoch, dass ich mit meinen Fingern, ohne mich bücken zu müssen, über die Blüten und Gräser streichen kann, die eine solche Sanftheit vermitteln, dass es in mir ein großes Wohlgefühl verursacht und mich ruhig und sanft stimmt. Ich spüre die Sanftmut, wie er meinen Geist beruhigt, jenen Geist, der zuvor noch in starker Wallung gewesen war, von dem großen, unumkehrbaren Ereignis beeindruckt, dieses weltenverändernde, für mich. Ich bleibe inmitten der Wiese stehen und schaue mich langsam und bedächtig, aber stets aufmerksam nach allen Seiten um, merke, wie ich inmitten eines riesig anmutenden Ozeans an Gräsern und Blumen stehe, und gleißend scheint die Sonne vom Himmel hinab, jener Himmel, dessen gefühlte Unendlichkeit mich immer zu neuen Taten und Abenteuern angestiftet hat. Ist die Seele nicht ebenfalls von einer Unendlichkeit, da sie keiner physischen Grenze unterliegt, anders als der Körper, dessen Grenzen so immanent weltlich sind, dass die große Freiheit nur selten zu spüren ist? Ich schaue zurück auf das Blumenmeer, das sich mit den vielen Gräsern unterschiedlicher Natur mischt, und bestaune das Wunderwerk, das sich vor mir – und auch in mir – ausbreitet, durch die Berührung mit meiner Haut, durch das Erleben, mein Empfinden. Ich komme zurück auf mein eindringliches Erleben der Pflanzen mittels meiner Fingerspitzen und erlebe sie erneut, intensiv und meinen Geist beruhigend. Ich gehe weiter, schaue nach vorne, suche nach einem Ende der Wiesenlandschaft, und auch wenn ich nicht möchte, dass dieses Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit irgendwann mal endet, schleicht sich der Gedanke in meinen Kopf, dass dieser Ort vielleicht gar nicht real ist, die Berührungen erdacht und die Ruhe erträumt ist, die Leichtigkeit nur ein Trugschluss. Mit diesem Gedanken wird es heller, zunächst langsam, dann immer schneller, und ich versuche, die Ursache dafür herauszufinden, doch es will mir nicht gelingen, als es mir wie Schuppen von den Augen fällt und jener Gedanke des Verstehens zugleich auch mein allerletzter ist.