Die Lyrik-Annäherung

Die Lyrik-Annäherung

[Kurzgeschichte. Veröffentlicht in #kkl 54 – denkbar. 2025]

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Die Lyrik-Annäherung

Es wird Zeit, sich der Lyrik ein wenig anzunähern, sage ich mir und bin mir völlig bewusst, dass mir keine Literaturform ferner ist als die verkürzte, zusammengepresste, auf das Wesentliche reduzierte und dennoch mit jedem Wort die Fantasie öffnende Lyrik, die ich bereits zu Dutzenden geschrieben habe – doch davon ist nicht mal annähernd etwas Brauchbares dabei.

Es kann doch nicht sein, dass mir Vers- und Reimformen in Theaterstücken recht einfach von der Hand gehen, aber wenn es dazu kommt, präzise, konkret und spezifisch über einen Sachverhalt zu schreiben, scheitere ich in kolossalem Ausmaß.

Woher kommt es, dass das Verfassen von Prosatexten und Theaterstücken viel mehr miteinander zu tun hat als das Verfassen von Versen? Ist es, dass es bei der platzschonenden Lyrik darum geht, auch noch den letzten Tropfen von unnötigem Ballast von den Worten zu schälen, während bei den anderen Textformen die exponentielle Vermehrung der Worte im Zusammenspiel mit den Inhalten zugrunde liegt?

Ach, das ist doch alles Kokolores! Schon wieder viele Worte für nichts! Und wieder nichts! Verschwendet!

Also: aufhören, über Lyrik nachzudenken! Wenn sie denn nicht immer wie ein Wiedergänger zurückkäme, um mich von Neuem zu martern!

Also setze ich mich hin, schreibe nur das Wichtigste meines Gedankens auf, kürze alles, was unnötig wirkt, prüfe die schmaler werdende Zahl an Wörtern auf Gewicht des eigenen Inhalts, streiche, formuliere um, wage mich ins Unbekannte und ende damit, dass die drei Wörter auf dem Blatt Papier, das vor mir liegt, nicht mal für einen Haiku ausreichen würden.

Habe ich eigentlich nichts zu sagen? Weil ich es nicht so formulieren kann, dass auch das Unsagbare im Sagbaren aufgeschrieben steht? Muss ich immer alles sagen, was ich zu sagen habe? Ist Lyrik alles, was ich nicht bin? Und wer bewertet das eigentlich?

Ich höre mein lyrisches Ich in mir sanft schwingen und ich lausche den hauchzarten Worten, die mir sagen, dass ich Sinnvolleres tun kann, als über etwas nachzudenken, das ich so oder so nicht kann. Wenn es denn doch nicht so viel Spaß machen würde, das mit der Lyrik, die ich so verfasse – auch wenn sie keinen interessiert!