Das Feuer, das nicht brannte

Das Feuer, das nicht brannte

[Kurzgeschichte. Veröffentlicht in Fantasia 1243e, 2025]

Magazin

Das Feuer, das nicht brannte

Satz 1

Es war vielleicht – und in diesem vielleicht lag bereits das ganze Dilemma eines Mannes, der mit der gleichen Hartnäckigkeit, mit der er an den Rändern seines Daseins nagte, auch an der Substanz seiner Werke nagte, als wolle er die Idee, ein Buch zu sein, schon vor der ersten Drucklegung zu Staub zermalmen – eine jener Begegnungen, die weniger aus dem Zufall geboren werden, wie es bei anderen, ungleich weniger verhängnisvollen Freundschaften der Fall ist, als vielmehr aus einer Art heimlicher Notwendigkeit, die im Leben beider Beteiligten schon lange vor dem ersten Handschlag anwesend gewesen sein musste, und so stand Max Brod, dessen unerschütterlicher Glaube an das Wort, an die Form, aber auch an die Möglichkeit, der Welt einen Sinn zu geben, ihn fast so sehr definierte wie sein feines Gespür für Menschen, an jenem Abend in Prag dem schmalen, fast scheuen Franz Kafka gegenüber, in dessen Augen sich das Licht der Gaslaternen brach, als wolle es sich in die labyrinthischen Gänge seines Denkens zurückziehen, und während sie sprachen – über Literatur, wie man es eben tut, wenn man jung ist und noch glaubt, dass das Wort nicht nur eine Waffe, sondern auch eine Rettung sein könne –, legte sich, ohne dass einer von beiden es ahnte, ein unsichtbares Netz aus gegenseitiger Faszination, aus ungleichen Erwartungen und stiller, beinahe asketischer Bewunderung über sie, ein Netz, das in den kommenden Jahren enger und enger gezogen werden sollte, nicht zuletzt durch die Briefe, die Gespräche, die einsamen Spaziergänge an der Moldau, bei denen Kafka, geplagt von seiner Krankheit, seinen Ängsten, seinem lähmenden Perfektionismus, in Brod einen Zuhörer fand, der nicht nur zuhörte, sondern sammelte, ordnete und bewahrte – mit einer Beharrlichkeit, die Kafka wohl einerseits beruhigte, weil sie ihm das Gefühl gab, dass wenigstens einer die Fragmente seines Denkens ernst nahm, und die ihn andererseits bedrückte, weil er ahnte, dass eben diese Bewahrung einmal gegen seinen ausdrücklichen Willen stehen könnte, so wie ein Testament gegen seinen Erblasser stehen kann, wenn der Erbe es nach eigenem Gewissen, nicht nach den Buchstaben der Anordnung liest, und als dann die Jahre vergingen, das Gewicht der unveröffentlichten Manuskripte wuchs wie eine unheilvolle Lawine in Brods Schubladen, während Kafka selbst in der Enge seiner letzten Lebensmonate nur noch den Wunsch kannte, dass das Feuer, das er nicht in sich selbst hatte entfachen können, wenigstens an seinen Papieren verzehrend, reinigend, endgültig werde, war es Brod, der in der Stunde der Entscheidung – allein, zwischen Loyalität zu einem Freund und Loyalität zu dem, was er als Wahrheit der Literatur verstand, zerrissen – nicht die Flamme wählte, sondern den Druck, nicht die Vernichtung, sondern die Offenbarung, und so geschah es, dass die Welt, die niemals hätte lesen dürfen, was sie nun liest, den Namen Kafka als den eines Autors lernte, nicht als den eines Unbekannten, den nur wenige in den Straßen Prags gekannt hätten, und dass in diesem einen, unwiderruflichen Akt ein ganzes Geflecht aus Freundschaft, Verrat, Pflichtgefühl und literarischer Mission in sich zusammenfiel, um sich zugleich, wie ein Buchdeckel, der schließt, doch neu zu öffnen.

Satz 2

Es war vielleicht – und in diesem vielleicht, das weniger eine beiläufige Floskel als vielmehr ein aus tiefstem Zweifel geformtes Prisma war, durch das sich alles, was Kafka sagte, dachte oder auch nur andeutete, in vielfach gebrochene Bedeutungen zerlegte, die so schwer zu greifen waren wie die Schatten einer Kerzenflamme an einer ungleich verputzten Wand –, eine jener Begegnungen, die, anders als jene zufälligen, belanglosen Kollisionen der Biographien, die uns in Straßenbahnen, auf Bällen oder in verrauchten Cafés widerfahren und die, kaum geschehen, schon wieder im Strudel der Tage versinken, vielmehr aus einer im Voraus angelegten, vielleicht von jener geheimnisvollen Logik des Schicksals vorbereiteten, in den unsichtbaren Kammern der Möglichkeit gereiften Notwendigkeit hervorgingen, und so stand Max Brod, der in einer Mischung aus jugendlichem Überschwang und bereits damals erstaunlich gefestigtem Willen zur Bewahrung, zur Katalogisierung, ja zur Kanonisierung des von ihm als bedeutsam Erkannten – eine Haltung, die manchen als Anmaßung, anderen als beinahe priesterliche Pflicht erscheinen musste – lebte, an jenem Abend in Prag, unter den mattgelben Gaslichtern, deren Licht wie ein müder Gedanke über die feinen Wasseradern der Moldau glitt, dem schmalen, hochgewachsenen Franz Kafka gegenüber, in dessen Blick sich nicht nur ein unbestimmtes, beinahe peinigendes Staunen über die Welt zeigte, sondern auch ein fortwährendes Zurückweichen vor ihr, als trüge er in seinen Augenhöhlen das Abbild eines Labyrinths, dessen Zentrum nicht zu finden, sondern nur zu erahnen war, und während sie, in der Weise junger Männer, die noch glauben, dass die Sprache eine Art Brücke sein könne zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, über Literatur sprachen – über deren rettende, formende, vielleicht sogar erlösende Kraft, wobei Brod mit jener offenen, fast missionarischen Geste argumentierte, die ihn sein Leben lang begleiten sollte, und Kafka, den Rücken ein wenig gekrümmt, in vorsichtigen, selbst relativierenden Halbsätzen antwortete, als wolle er jedes Wort gleich wieder zurücknehmen –, legte sich unmerklich, ja unsichtbar, ein Netz aus Faszination, ungleichen Erwartungen, stiller Bewunderung und jener eigentümlichen Mischung aus Nähe und Fremdheit zwischen sie, ein Netz, das sich, wie es bei unsichtbaren Netzen nun einmal der Fall ist, in den kommenden Jahren enger und enger zog, genährt von Briefen, Spaziergängen und Gesprächen, in denen Kafka, geplagt von einer Krankheit, die nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Willen zur Veröffentlichung zersetzte, immer wieder auf den geduldigen, sammelnden, ordnenden Brod traf, der, mit der Beharrlichkeit eines Archivars, Fragmente, Notate, Entwürfe und ganze Manuskripte nicht nur entgegennahm, sondern gleichsam in einem mentalen Tresor verwahrte, aus dem sie – und hier lag der Keim des späteren Konflikts – im entscheidenden Augenblick nicht herausgenommen und dem Feuer übergeben, sondern in die andere Richtung geführt werden sollten, nämlich zu Druck und Bindung, zu jenen festen Buchdeckeln, die Kafka, als die letzten Monate seines Lebens sich wie ein immer engerer Korridor um ihn schlossen, ausdrücklich nicht sehen wollte, weil er in ihnen weniger ein Denkmal seiner Arbeit als vielmehr eine Art Verriegelung sah, die ihn auf ewig an ein Werk band, das er selbst für unzulänglich hielt, und so kam, was vielleicht kommen musste: dass Brod, allein, die schwersten Manuskriptstapel seines Lebens vor sich, zwischen der Freundestreue zu dem, was Kafka als seinen letzten Willen aussprach, und der literarischen Treue zu dem, was er, Brod, als Wahrheit und Auftrag verstand, schwankte, um schließlich – und in diesem „schließlich“ lagen Jahre von Überlegung, Selbstrechtfertigung und innerem Ringen – die Flamme nicht an das Papier zu lassen, sondern die Lettern an die Öffentlichkeit, und dass dadurch die Welt, die nach Kafkas Wunsch nie hätte lesen dürfen, was sie nun liest, seinen Namen nicht als den eines unbekannten Prager Versicherungsangestellten erfuhr, sondern als den eines Autors, dessen Werk, in einem einzigen, unwiderruflichen Akt des Ungehorsams und der Loyalität zugleich, für immer in jenes schillernde, widersprüchliche Zwischenreich gestellt wurde, in dem Freundschaft und Verrat ununterscheidbar sind.