Abriss
[Kurzgeschichte, veröffentlicht in Der Dreischneuß 27, 2015]
Abriss
Ein merkwürdig stiller Morgen weckte mich. Ich schrak hoch und wusste, dass ich mein Haus abreißen musste. Wie mechanisch begann ich mich anzuziehen, streifte mir den Blaumann über, der mir von meinem Vater vererbt und zwei Nummern zu groß war, suchte im Keller nach den Springerstiefeln und gleich daneben nach möglichem Werkzeug und musste mir eingestehen, dass ich nicht mal ansatzweise das Werkzeug besaß, um mein Haus auch nur in den Grundfesten anzukratzen. Es musste größeres Werkzeug her!
Ich setzte mich in meinen alten Volvo-Kombi, der nicht anspringen wollte und erst durch Tritte gegen den Reifen und den Kotflügel von einem Start überzeugt werden konnte, und fuhr zum Baumarkt, um dort festzustellen, dass ich weder über eine Ahnung, welche Werkzeuge ich besorgen müsste, verfügte, noch über irgendeine Barschaft, da ich mein Portemonnaie zu Hause liegen gelassen hatte. Ich fuhr also zurück und holte mein Bargeld, ließ dabei den Wagen laufen, um das Risiko eines Nichtmehrstartens zu minimieren, und tatsächlich brachte mich der alte Volvo zurück zum Baumarkt, ohne dass er muckte. Dennoch war das Grundproblem, dass ich immer noch nicht wusste, welches Werkzeug ich besorgen musste, nicht gelöst, und mir fiel im Prinzip immer nur die Lösung ein, dass ich mit einem Panzer mein Haus in Schutt und Asche schießen konnte. Da mir völlig bewusst war, dass ich weder einen Panzer noch ein ähnliches Gefährt wie zum Beispiel eine Abrissbirne besorgen konnte, zumal nicht in diesem Baumarkt, trat ich mit dem Vorsatz in das hallenartige Gebäude, mich von den hier zum Verkauf angebotenen Werkzeugen inspirieren zu lassen.
Ich ließ die Information links liegen, denn was hätte mir die nett aussehende Dame schon raten können, wenn ich sie gefragt hätte, mit welchem Werkzeug ich am besten mein Haus abreißen sollte? Ich ging schnurstracks in die Abteilung für richtige Männer, vorbei an Kreissäge, Stichsäge, Laubsäge, Schmirgelpapier, und ahnte, dass es nicht größer, sondern immer kleiner wurde. Schlussendlich befand ich mich in der Schraubenabteilung, die ich aufsuchen würde, wenn ich etwas errichten wollte – doch ich war im Abrissmodus.
Ich drehte um, durchstreifte die Gänge, in denen es Sanitäreinrichtungen und Lampen gab, gelangte in die Holzabteilung und danach gleich ins Gartencenter und erreichte schlussendlich eine Mauer, die mir andeutete, dass der Baumarkt hier ein Ende fand. Hatte ich irgendetwas übersehen? Eine zweite Etage? Einen Keller mit dem schweren Gerät? Eine Außenabteilung, die man nur über einen besonderen Männereingang betreten konnte? Doch nichts dergleichen. Ich musste also doch fragen gehen.
Ich ging selbstsicher, wie ein Mann im Baumarkt im Grunde wirken sollte, um nicht für einen handwerklich unbegabten Schwachmaten gehalten zu werden, der zu viel Geld mit irgendwelchen obskuren Berufen verdient, zur Information, räusperte mich und fragte, wo ich denn das schwere Gerät finden würde. Unmittelbar danach stellte ich mir die Frage, ob ich wohl idiotisch oder wahnsinnig geklungen haben musste, denn der Mann hinter dem Tresen schaute mich an, als ob ich Chinesisch gesprochen hätte. Nur sehr langsam konnte ich ihm klarmachen, dass ich etwas zum Abreißen einer Grundmauer und was darüber aufgebaut war suchte, und er schickte mich in einen Gang, den ich bisher noch nicht entdeckt hatte, und siehe da: Es gab auch in diesem Baumarkt schweres Gerät. Allerdings nicht das, was ich suchte. Zumindest fand ich nichts, das mich zu einem »Ja, das ist es!«-Ausruf inspiriert hätte. Den dicken Hammer schwingen – da würde ich Jahre brauchen. Einen Presslufthammer konnte ich nur bedingt einsetzen, wohl zu wenig Power. Ein Zementmischer – nun gut, keine Option.
Alles in allem musste ich feststellen, dass ich wohl in diesem Baumarkt nichts finden würde, das mir half, mein Haus auf einfachem Wege abzureißen. Enttäuscht ging ich zur Kasse und wollte schon mit leeren Händen durchgehen, als mein Blick auf eine Dose Gummibärchen fiel, die ich kaufte. Mehr als ein Kilogramm von diesem süßen Zeug, von dem ich aus lauter Frust einen beachtlichen Teil im Auto auf dem Parkplatz des Baumarkts vertilgte.
Ich drohte schon mit verklebtem Magen wegzudösen, als mir die entscheidende Lösung einfiel. Ich sprang aus dem Auto, lief in den Baumarkt, schnappte mir einen Einkaufswagen und ging in die Abteilung mit den Gasgrills. Ich legte einige Gasflaschen auf einen Wagen und schob diesen, zusammen mit einigen anderen Brennutensilien Richtung Kasse, an der ich ein zweites Mal bezahlte. Es gab keinerlei Nachfragen ob der riesigen Gasmengen, und so fuhr ich beschwingt nach Hause, ordnete im Keller alles so, dass das Feuer auch genügend Brennmaterial hatte, überdachte kurz meine Entscheidung, ehe ich die selbstgedrehte Lunte anzündete. Erst passierte lange nichts, doch dann ging alles sehr, sehr schnell.
Als die Feuerwehr eintraf, stand mein Haus lichterloh in Flammen und ich war äußerst froh, mein Tagwerk so abschließend bewältigt zu haben.