Der Dritte im Garten

Der Dritte im Garten

[Kurzgeschichte. Veröffentlicht in Mein heimliches Auge #40. 2025]

Der Dritte im Garten

Es ist nicht so, dass mir etwas fehlte, jedenfalls nicht in einer Form, die sich leicht hätte benennen lassen, und auch nicht in jenen abendlichen Stunden zwischen dem Verstummen des Tages und dem ersten Atemzug der Nacht, wenn meine Frau und ich im weichen, bernsteinfarbenen Licht der Küche saßen, die Gläser wie stille Brunnen zwischen uns, aus denen wir zugleich tranken, ohne die Lippen zu bewegen, und ihre Hand, wenn sie sie zufällig über den Tisch legte, einen Hauch von Wärme verströmte, der mich daran erinnerte, wie selbstverständlich unsere Nähe geworden war.

Und doch gab es dort drüben, nur drei Gärten weiter, diese beiden, die vielleicht ein Paar waren, vielleicht aber auch nur Komplizen in einer stillen, unvollendeten Geschichte; sie bewegten sich mit einer Art unaufdringlicher Selbstverständlichkeit, wie Menschen, die ihre Körper nicht zensierten, sondern sie so trugen, wie man eine Haut trägt, die man wählen würde, wenn man die Wahl gehabt hätte. Schon ihr Nebeneinander strahlte etwas aus, das nicht an der Oberfläche lag, sondern im Atemschatten ihrer Begegnungen – eine Wärme, die sich mir selbst über die Entfernung in den Nacken legte.

Ich kannte sie kaum, doch mein Kopf war längst ein stilles Atelier, in dem ich aus kleinen, beiläufigen Beobachtungen Szenen malte, deren Leinwände größer waren als die Wirklichkeit; ich stellte mir vor, wie sie am späten Nachmittag auf ihrer Terrasse saßen, die Gläser in den Händen, und wie vielleicht die Hand des einen zufällig das Knie des anderen berührte, zu lange, um ein Missverständnis zu sein, zu kurz, um Gewissheit zu werden – und dieser Zwischenraum, dachte ich, ist der Ort, an dem sich das Begehren wohlfühlt.

Dann, eines Abends, an dem der Himmel so dunkelblau war, dass man ihn für einen einzigen, endlosen Stoff hätte halten können, sah ich ihn.

Er stand an ihrem Gartentor, und schon in dem Winkel, den seine Schulter zum Holz bildete, lag eine Mühelosigkeit, die nicht erlernt war, sondern tief aus ihm kam; sein Körper war schmal, aber gespannt wie ein Bogen, als könne er jederzeit auf eine Bewegung antworten, und seine Augen – weit geöffnet, ohne zu starren – hatten etwas von Wasser, das kühl wirkt, aber in der Tiefe eine Wärme verbirgt, die man nur mit der ganzen Haut spürt.

Das Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, klebte leicht an seinem Rücken, als wäre er eben erst aus einem Raum gekommen, in dem die Luft schwerer war als hier; die Jeans schmiegte sich an seine Hüften, ohne stramm zu sein, und in dem leichten Vorbeugen seines Oberkörpers lag eine unbestimmte Einladung, die nicht an mich gerichtet war – und mich gerade deshalb erreichte.

Ich wusste sofort, dass er bleiben würde, nicht sichtbar, nicht im Alltag, sondern in meinem Kopf; dass ich, wenn ich die Augen schloss, seinen Stand wieder abrufen könnte, das sanfte Gewicht seiner Hüfte in den Falten des Stoffes, den Winkel seines Kiefers, der so wirkte, als sei er zum Zupacken gemacht.

Von da an verlegte ich meine Wege, wie zufällig, und doch mit einer Erwartung, die ich mir nicht eingestand; ging am Abend langsamer an ihrem Zaun vorbei, als lauschte ich auf etwas, das sich nicht in Worten fassen ließ. Aber er blieb verschwunden, und meine Ungeduld mischte sich mit einer Furcht – der Furcht, dass ein zweites Sehen ihn verändern könnte, dass ich den rohen Glanz verlieren würde, den mein erstes Bild von ihm hatte.

Manchmal stand ich kurz davor, beiläufig zu fragen: „Wer war der Mann bei euch?“ – doch dann hielt mich etwas zurück, ein Gefühl, das halb Scheu, halb Angst war, als könnte schon die falsche Betonung mich verraten, als sei mein Interesse ein nackter Fuß in einer Tür, die besser geschlossen bliebe.

So ließ ich ihn wachsen, nicht als Mensch, sondern als Figur, die in mir eine andere Gestalt annahm: Er war derjenige, der sich ohne Eile über einen Tisch beugt, um etwas zu greifen, und dessen Nähe wie ein warmer Luftzug an der Innenseite des Handgelenks verweilt; der in der Tür lehnt, während eine Frau an ihm vorbeigeht, und sie nicht berührt, aber so nah ist, dass sie ihren eigenen Schritt verändert.

Manchmal, wenn ich allein im Wohnzimmer sitze, das Glas in der Hand und der Abend sich so langsam ins Schwarz zieht, dass man das genaue Verschwinden des Tages nicht bemerkt, lasse ich ihn wiederkommen, nicht als Besucher mit Höflichkeiten und Lächeln, sondern so, wie er in jenem ersten Moment dastand, nur dass er diesmal nicht an ihrem Gartentor lehnt, sondern in meinem steht, den Körper leicht seitlich, als wolle er mich passieren lassen, obwohl wir beide wissen, dass ich es bin, der nicht vorbeikommt; er trägt das gleiche Hemd, nur etwas offener, und unter dem Stoff zeichnet sich eine Wärme ab, die nicht von der Luft kommt, und als ich näher trete, rieche ich diesen Hauch von Haut und irgendetwas Dunklerem, das man nicht kaufen kann, und er sagt nichts, aber sein Blick hält mich dort fest, wie man eine Hand festhält, die man nicht loslassen will, obwohl sie nicht gehört – und vielleicht ist es in diesem Blick, vielleicht in der langsamen Bewegung seiner Finger, die am Türrahmen entlangstreichen, dass etwas geschieht, das nicht im Raum, sondern nur in mir passiert: eine Verschiebung, eine Ahnung davon, wie es wäre, wenn er mich nicht an sich vorbeiließe, sondern mich hineinziehen würde, in einen Raum, den es gar nicht gibt, und in dem wir beide, ohne zu sprechen, wüssten, dass dies der Punkt ist, an dem man nie wieder zurückgeht.

Doch er kam nicht zurück, und irgendwann begann ich zu begreifen, dass seine Macht nicht in seiner Gegenwart lag, sondern in seiner Abwesenheit; dass er in mir einen Raum geöffnet hatte, in dem ich selbst ein anderer werden konnte, ohne dass jemand es bemerkte – und dass diese Möglichkeit süßer war als jede Gewissheit, die ich hätte finden können.

So kehrte ich zurück in mein Leben, in das warme Licht unserer Küche, in den vertrauten Schwung ihrer Hand auf meinem Arm, und trug doch in mir diesen Dritten im Garten, der nie wieder dort stand, und doch nicht fortging, weil er längst nicht mehr aus Fleisch bestand, sondern aus Blicken, die man nicht erwidert, aus Gedanken, die man nicht beichtet, und aus der leisen Ahnung, dass manche Begegnungen nur deshalb so mächtig sind, weil sie nie wirklich geschehen.