Bremsspur

Bremsspur

[Kurzgeschichte, vertont von Eisenbart & Meisendraht #0082 – Mode, 2024]

Link Sendung

Link Text

Bremsspur

Die Gesellschaft um mich herum hat sich in einen wahnsinnigen Geschwindigkeitsrausch versetzen lassen, der alleine dazu dient, die Gegenwart durch immerwährenden Wandel nicht zu langweilig werden zu lassen. Die Moden wechseln derart schnell, dass man eine verpasste Mode nicht mal bemerken muss, und ganz bestimmt muss man sich keine Gedanken darüber machen, denn die nächste ist schon da! Solange man nicht zu viele Moden verpasst und als outdated oder immergestrig gilt, ist alles reparabel, da das Gedächtnis mit diesen Moden ebenso leidet wie oft der Geschmack.

Ich wage jetzt etwas Verwegenes! Ich durchbreche diesen wahnsinnigen Geschwindigkeitsrausch und bremse mit ordentlicher Spur ab, halte kurz ein, betrachte die Moden, die an mir unberührt vorbeiziehen, und stelle mit leichter Freude fest, dass absolut nichts Neues dabei ist – allenfalls eine neue Abmischung verschiedener Moden der Vergangenheit. Die Beschleunigung der Kurzfristigkeit der Moden führt zu dem absurden Phänomen, dass Normalaltwerdende eine Mode mehrere Male erleben können, was den unschlagbaren Vorteil mit sich bringt, Kleidungsstücke nicht mehr entsorgen zu müssen, da diese in wenigen Jahren wieder en vogue sein werden – wobei jedoch der Nachteil des zu kleinen Kleiderschranks ebenso mehr als evident wird.

Während die Moden so an mir vorbeizischen, überkommt mich das Gefühl einer latenten Nervosität, dass ich am Ende durch meine Pause doch mehr verpassen würde, als ich es noch vor wenigen Momenten stock und steif behauptet hätte. Ich muss meine gesamten Übungen zu Atemtechniken auffahren, dass ich nicht in einen Zustand der Hyperunsicherheit gerate – denn wenn man einmal in einem solchen Zustand ist, ist man dem Wahnsinn ausgeliefert, ohne Macht und Widerstand, ohne Willen und Resilienz. Dann können Populismus und Metamoden viel einfacher in das eigene Gehirn einziehen und sich dort breitmachen, als Folge eines Abgehängtseingefühls, das man nie wieder verspüren möchte.

Ich für meinen Teil bekomme gerade noch mal die Kurve, das Vehikel, in dem ich mich befinde, versetzt nur kurz, bricht aber nicht aus, sodass ich dagegen ankämpfe, gegen einen Teil meines Selbst kämpfe – und traurigerweise die tiefere Erkenntnis habe, dass ich auch verliere, wenn ich gewinne! Was ich aber auf jeden Fall gewinne, sind die vielen abschätzigen Blicke meiner Mitmenschen, die bisher dachten, dass ich aktuell und hip wäre, doch jetzt erkennen sie den wahren Kern von mir: den gestrigen, noch nicht den Ewiggestrigen. Vielleicht ist auch bei diesem Turning Point die Antwort 42, denn seit Überschreiten dieser Grenze habe ich das Gefühl, dass sich das Hetzen nach vorne nicht mehr so lohnt, denn statistisch ist es die zweite Hälfte des Lebens – und anders als im Fußball gibt es keine dritte Halbzeit, in der gefeiert wird.

Ich stehe also hier und sehe die nächsten Moden an mir vorbeiziehen, trage meine alten Klamotten auf, verhalte mich, als wäre ich in der Entwicklung irgendwann stehengeblieben, höre mir von meinen Kindern an, dass ich super-mega-cringe bin, weil ich die neuesten Moden im Social Network mit vollem Herzen missachte, und fühle mich gut damit.

Das Lustige an diesem Morgen ist, dass sich die Moden so sehr einmal um sich selbst gedreht haben, dass ich mit meinem Stil und meiner Art wieder ein angesagter Sportsfreund bin, was ich inzwischen etwas peinlich finde – doch ich ahne, dass diese Mode spätestens beim nächsten Kaffee schon wieder cringe ist. So soll es auch sein! Metamoden, was für ein Käse!