Unser Zahir

Unser Zahir

[Kurzgeschichte, veröffentlicht in #kkl 50: Hingabe, 2025]

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Unser Zahir

Der Zahir kann so vieles sein; für mich ist er die Liebe. So wechselhaft der Zahir für die verschiedenen Menschen ist, so eindeutig ist er für mich. Als ich diese Erklärung meiner Frau offenbarte, lachte sie mich aus. Ich sei ein sentimentaler Spinner, nichts weiter, sagte sie in einem Tonfall, der mich stark irritierte. Und mit einem Zahir hätte unsere Liebe mal so gar nichts am Hut, kam gleich als nächster Satz hinterher. Sie lachte noch ein paar Augenblicke über meine scheinbare Spinnerei, dann verschwand das Thema zwischen uns beiden.

Heute ist das grundlegend anders. Sie hat inzwischen ihren eigenen Zahir gefunden; für die Entdeckung mussten allerdings einige Dinge geschehen. Ich war im ersten Moment tief getroffen über ihre Reaktion auf meine Öffnung, besonders deswegen, weil wir stets darauf geachtet haben, mit dem anderen die eigenen Sorgen zu besprechen und zu teilen – ich ging davon aus, dass Offenheit unser gemeinsamer Nenner der Beziehung war. Dies war wohl auch der einzige Moment, in dem ich unsere Beziehung ernsthaft infrage stellte. Das schmerzt mich heute, da ich nicht ahnen konnte, dass meine Frau völlig andere Assoziationen mit dem Zahir verband. Für sie war das mit dem Magischen Realismus nur Brimborium, während ich hin und wieder dieser Art des Erzählens unterlag. Meine Frau war seither auf der Seite der Realität gewesen, niemals schlich sie sich auch nur ein Jota von den Argumentationslinien des Lebens fort.

Meine Frau spürte meine Verstimmung und suchte das Gespräch; dieses Mal akzeptierte sie meine eigentlich als Liebeserklärung gemeinte Offenbarung, ohne dass sie sich darüber amüsierte. Sie verwendete für sich einfach ein anderes Wort und kam mit dem Umstand klar, dass ich mit dem Begriff etwas anderes meinte. Doch sie sollte ihren eigenen noch finden…

Das Ereignis, das sie auf die Spur ihres eigenen Zahirs brachte, war der plötzliche Tod ihrer Mutter. Wir erhielten den Anruf von meiner Schwägerin, ließen alles stehen und liegen und brachten die verstorbene Mutter würdevoll zu ihrem Mann auf den Friedhof. Es flossen reichlich Tränen und als mich meine Frau fragte, was mir die Kraft gebe, diese schwere Situation durchzustehen, sprach ich erneut von meinem Zahir, der mir das Vertrauen in die gemeinsame Stärke und Leidensfähigkeit gab. Meine Frau dankte meinem Zahir; das war das erste Mal, dass sie ihn nicht nur akzeptierte, sondern verstand – um sich bald schon auf die Suche nach ihrem eigenen Zahir zu machen.