Schwanger
[Akrostichon, veröffentlicht in der Anthologie „Frauen – Männer“, 2014]

Schwanger
Ein Akrostichon
Das Büro war übersät mit riesigen Aktenstapeln. Das
eigentliche Thema war, dass sie genau dann ein
Problem bekommen würde, wenn nicht alles so
war, wie es immer war – denn Veränderungen wurden
nicht akzeptiert. Die Geschäftsführung verlangte,
dass jeder Vorgang dokumentiert wurde, und dass
sie mit ihrer Unterschrift dafür geradestand, damit
nicht auf dem Protokoll ihre Kollegin zu finden war, die
schwanger zu Hause ihre Elternzeit verbrachte. Da
werden Unmengen von Akten herbeigebracht, und sie
konnte sich kaum noch in ihrem Büro bewegen,
sondern musste über einige Stapelberge dergestalt klettern,
dass sie es mit der Angst bekam, herunterzufallen. Wie das
ihre Chefs gefunden hätten? Auch die Gesichter ihrer
Freundinnen sah sie schon vor dem geistigen Auge, wie sie
alle fiese Grimassen schnitten, die sie wie pubertierende
Kinder aussehen ließen. Zum Glück für die Kletternde
bekamen ihre Freundinnen nichts davon zu hören,
und ihren Chefs vermochte sie Entwarnung zu geben,
damit sie in Ruhe arbeiten konnte. Wobei andere Kollegen
angaben, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen würde,
ohne dass es der Prüfergesellschaft auffiel, dass
auf gewissen Dokumenten nicht alle Dinge vermerkt waren,
die dort aufgeführt werden mussten. Da sie jedoch ihre
Gefühle herunterschlucken musste, um in
ihrer zeitlichen Not die Arbeit zu schaffen, damit ihre
hilflosen Chefs nicht auffielen, ließ sie ihre Wut an ihrer
Freundin aus, die es einfühlsam verstand, auf alles
achtzugeben, was sie sagte, ohne es persönlich zu nehmen.