Leer
[Kurzdrama, veröffentlicht in Autorenträume, 2013]

Leer
Ein-Eine-Leere-Kurzstück
Personen
Ein im Grunde kreativer Dichter.
Einziges Bild
Der im Grunde kreative Dichter sitzt an seinem Schreibtisch und starrt auf die alte Schreibmaschine, die vor ihm steht. In der Schreibmaschine ist ein leeres Blatt eingespannt und weitere liegen zerknüllt um den Schreibtisch herum. Nach einer Weile nimmt der im Grunde kreative Dichter seinen Kopf in die Hände, stützt seine Ellenbogen ab und atmet schwer.
Der im Grunde kreative Dichter nach einer geraumen Zeit:
Ich kann nicht! Ich kann nicht! Ich kann nicht! Lauter. Warum?! Warum kann ich nicht?! Warum kann ich nicht einfach loslegen und etwas schreiben? Einfach so! Warum fließt es nicht wie sonst aus mir heraus? Was ist los mit mir? Was zum Geier ist denn nur mit mir los? Energisch steht er auf und stößt dabei den Stuhl hinter sich um. Es kann doch nicht sein, dass alles weg ist! Einfach so! Von gestern auf heute! Weggeblasen! Fortgeweht! Einfach – weg! Langsam, immer mehr in sich zusammenbrechend. Und dabei… nein, eigentlich ist es nicht seit gestern so. Ich… die Blockade, wenn man es mal so nennen will, ist schon seit ein paar Wochen in meinem Kopf! Oder wo auch immer! In meinen Händen, in meinem – wo auch immer! Sie ist da und kann nicht weggelogen werden! Ich dachte ja immer, dass ich gegen eine solche Schreibblockade immun bin, dass es immer nur andere trifft, aber jetzt kann ich mich nicht mehr anlügen – ich stecke mitten in einer. Stellt den Stuhl wieder hin und lässt sich auf ihn sinken. Und ich war mir absolut sicher, nicht nur, dass mich eine solche Blockade niemals ereilen würde, sondern auch, dass man mit seiner Erfahrung, mit der professionellen Schreibkunst so lange weiterarbeiten – so lange überleben könne, bis man wieder auf Spur ist und die Kreativität zurück in seinem Geiste spürt. Kurze Pause. Aber nichts! Rein gar nichts regt sich in mir! Nicht mal die leiseste Hoffnung verspüre ich, dass es irgendwann besser wird. Die Hoffnung… Meine Hoffnung ist völlig zerstört. Wie kann das nur… Seine Augen werden feucht und er muss heftig schlucken. Bedeutet diese Blockade das Ende meiner Karriere als Dichter? Bedeutet es das Ende meines Lebens? Das Ende meines Lebenssinns? Das Ende aller Tage? Schluckt erneut. Diese Fragen stelle ich mir unablässig! Unablässig! Was, wenn die Kreativität nicht zurückkommt, was, wenn es nicht mehr zu der Situation kommt, dass die Literatur aus mir herausfließen will und meine einzige Aufgabe darin besteht, dieses Herausfließende in eine lesbare Form zu gießen? Was, wenn das alles war, was in mir lag und nun das innere Becken leer ist? Was, wenn nichts mehr da ist, was aus mir herausfließen kann? Was, wenn… Schließt die Augen. Resigniert. Je mehr ich darüber nachdenke, was sein wird, wenn die Kreativität nicht zurückkehrt, desto mehr verlangt es mich danach, dieser Schreibmaschine den Rücken zuzudrehen und zu gehen. Leiser. Ist das der erste Vorbote des Scheiterns? Scheitere ich, wenn ich aufgebe? Wenn ich nicht weiterkämpfe? Wenn ich akzeptiere, dass die Situation unveränderlich ist, ohne sie auf Herz und Nieren auf den Prüfstand gestellt zu haben? Ganz leise. Wenn ich meinen Traum aufgebe, dereinst ein wichtiger Literat zu werden? Wenn ich mich selbst aufgebe?
Der im Grunde kreative Dichter dreht sich zu seiner alten Schreibmaschine um und fährt mit seinen Fingerkuppen über ihre Tasten, streichelt sie liebevoll, liebkost den blanken, glänzenden Mantel aus schwarzem Metall, scheint sie zu beschwören, als hätte sie ihm die Kreativität gestohlen, indem sie ihm diese aus den Fingern gesogen hat. Dann hält er plötzlich ein und sitzt auf seinem Stuhl wie ein Felsen.
Der im Grunde kreative Dichter nach einer geraumen Zeit, in der er völlig regungslos dasitzt:
Sie muss in mir sein! Sie muss! Die Kreativität kann nicht so einfach verschwinden! Sie muss irgendwo… er stockt, öffnet schlagartig die Augen. Kaum, dass er sich bewegt hat, nimmt sein gesamter Körper wieder an Spannung zu, streckt sich. Aber natürlich! Wie konnte ich nur so blind sein? Wie in aller Welt konnte ich das nur übersehen! Sonnenklar steht es vor mir! Ich bin so ein Trottel! Spannt das Papier in der Schreibmaschine nach. Natürlich! Natürlich! Es geht gar nicht darum, dass ich die Kreativität verloren habe! Darum ging es nie! Nein! Es ging nur darum… Schlägt sich mit der Hand vor die Stirn. Es ging allein darum, dass ich verstehe – dass ich lerne, was ich zu sagen habe und was nicht! Sonnenklar ist es! Sonnenklar! Macht ein paar aufwärmende Fingerübungen, dann beginnt er zu schreiben. Während er schreibt, liest er das Geschriebene laut vor. Wie ich meine Kreativität verlor! Kurze Pause. Als ich eines Morgens aufstand und in den Spiegel sah, bemerkte ich eine Veränderung. Sie war nicht sehr groß, aber sie war vorhanden, sozusagen subtil und nicht vordergründiger Natur. Erst am späten Nachmittag, als ich mich in gemütlicher, aber alarmierter Stimmung vor meine Schreibmaschine setzte, bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Ich war plötzlich unkreativ und ahnungslos. Indem er leiser und leiser wird. Ja, ahnungslos mag das richtige Wort dafür sein, wie ich mich fühlte, und ohne ein richtiges Gefühl dafür, was mir fehlte…
Alle ab.