Die Doppelnovelle
[Theoretischer Text, veröffentlicht in Die Novelle – Zeitschrift für Experimentelles, 2017]
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Die Doppelnovelle
Der Begriff der Doppelnovelle
Ich denke, dass an dieser Stelle eine potentiell langatmige und niemals erschöpfliche Ausführung ausufernder Natur über die Novelle nicht gewünscht ist, da es sich hierbei um eine weiterführende, speziellere Variante der Novelle handelt, die selbst in ihrer Zeit von der Entstehung (im Allgemeinen wird Boccaccios Falken-Novelle als erste angesehen) bis in die heutige Zeit so viele Verwandlungen, Abwandlungen, Erneuerungen, Definitionen und Umdefinierungen erfahren hat, dass man kaum von der Novelle sprechen kann. Die Gattung Novelle ist vielmehr eine Leitidee, eine vage Form, ein nebulöser Inhaltsleitfaden, der von so vielen Menschen bereits beschrieben und definiert wurde, dass eine saubere Definition niemals mehr möglich scheint… Meine Güte, jetzt bin ich doch wieder in den Sog geraten. Nun also zur Doppelnovelle…
Ausgehend von der einfachen Novelle – in welcher Form auch immer – ist mir der Begriff der Doppelnovelle eingefallen. Im ersten Moment nur das Zusammenfügen zweier Novellen in einer novellesken Erzählung, die sich am Wendepunkt, Spiegelpunkt, an der Offenbarung der Goethe’schen Unerhörten Begebenheit, die nur deswegen unerhört war, weil sie noch niemand erhört hatte – schon wieder… –, die sich also an diesem Punkt treffen und dann gemeinsam oder wieder getrennt voneinander wegbewegen. Genauso schnell kamen mir die Namen für diese Arten der Doppelnovelle – Kreuznovelle, Wünschelrutennovelle…
Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab sich aus diesen Gedanken, und am Ende war ich mir bewusst, dass ich etwas zu tun gedachte, das für viele ein Tabubruch mit der Literatur darstellt: die Vereinigung von mathematischen Analysen, insbesondere der Analysis, mit dem Aufbau der Doppelnovellen. Je weiter ich diese Betrachtung trieb, desto stärker wurden die Ergebnisse aus ihr; je stärker die Ergebnisse wurden, desto klarer wurde mir, dass ich diese Umstände zu Papier bringen musste, um Klarheit über die Struktur der Doppelnovelle zu erhalten.
Um diesen Gedanken eine Form zu geben, folgen im weiteren Verlauf dieses Einführungstextes:
Darf man Literatur mit Mathematik begegnen?
Welche mathematischen Konzepte beschreiben die Doppelnovelle?
Gibt es über die Doppelnovelle hinweg noch weitere Formen (Tripelnovellen, Quadrupel-Novellen…)
Welche Arten der Doppelnovellen sind denkbar?
Ob man es gut oder schlecht findet, Literatur mit Mathematik zu vermischen, ist eine Sache, aber in jedem Fall muss man anerkennen, dass die gebräuchlichen Begriffe Raum und Zeit, die auch in der Literatur eine große Rolle spielen, in ihrem ureigensten Sinne physikalische und damit mathematische Begriffe sind.
Darf man Literatur mit Mathematik begegnen?
Warum nicht?! In einer Zeit, in der literaturwissenschaftliche Konzepte nur noch sehr selten nicht interdisziplinär aufgestellt sind, ist die Verknüpfung dieser zwei sehr alten Wissenschaften nichts Verwerfliches. Zudem liegt es in der Natur der Sache, etwas, was sich mitunter nur sehr schwer greifen lässt und nicht gerade wenig auf Basis subjektiver Eindrücke wirkt, griffiger zu machen. Wie man versucht, eine Geschichte auf das Wesentliche, auf den Kern zu reduzieren, um sie für sich selbst einzuordnen (Kategorien, Stil, Genre, Moden, Preisverleihungen, etc.) so bietet die Mathematik Modelle, um schwer erfassbare, oft nebulöse Zusammenhänge in einfache Bestandteile und Kernaussagen aufzulösen.
Dabei besteht die Hauptarbeit darin, die Grundlagen, die Basis der betrachteten Texte – hier die Doppelnovelle – auf eine mathematische Grundlage zu bringen. Das Rechnen bzw. vorwiegend Darstellen auf Basis dieser Grundlage ist dann nichts weiter als eine Übung, die Anwendung von Regeln – wie übrigens das Theaterschreiben vor einigen Jahrhunderten auch oft weitaus eher eine Anwendung von Regeln war – viel mehr noch als das Ausleben des freien Geistes, der Phantasie!
Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter vorpreschen, sondern einfach nur die These aufstellen, dass niemand frei von Vorstellungen ist – und damit ist auch niemand absolut offen. Aber die Öffnung hin zu interdisziplinären Konzepten zeichnet einen umsichtigen und wissenschaftlich verantwortungsvollen Weg, der bei diesem Konzept aufgrund der Unterschiedlichkeit der beiden Wissenschaften unbedingt von Nöten ist!
Welche mathematischen Konzepte beschreiben die Doppelnovelle?
Das grundlegende mathematische Konzept, das die Doppelnovelle zu beschreiben versucht, ist die Kurvendiskussion in einem zweidimensionalen Koordinatensystem. Die fortlaufende Zeit wird als Intervallabschnitt auf der x-Achse abgetragen. Die Zeit auf die x-Achse zu legen hat den Vorteil der Darstellbarkeit und impliziert, dass es für alle Beteiligten nur eine Zeit gibt, die genau für jeden Beteiligten in jeder Novelle gleich lang ist.
Während die x-Achse die fortlaufende Zeit determiniert, beschreibt die y-Achse in beide Richtungen vom Ursprung die verschiedenen Erzählebenen. Im Prinzip kann es unendlich viele Erzählebenen geben.
Um die beiden Erzählebenen innerhalb einer Doppelnovelle zueinander zu arrangieren, bietet es sich an, die eine der beiden Erzählebenen auf die x-Achse zu legen. Damit arrangiert man die eine Novelle als die Grundnovelle der Doppelnovelle, während man die andere als angelehnte Novelle derart im Raum (x-y-Koordination) platziert, dass die Abstände zwischen beiden Erzählebenen den räumlichen Inhalt zueinander widerspiegeln.
Da die beiden Erzählebenen in einer Doppelnovelle im Prinzip unendlich weit auseinander liegen, aber auch genauso gut fast aufeinander liegen können (ein Nullabstand ist nicht möglich, sonst wäre es dieselbe Novelle, d.h. man kann sich nur über das mathematische Konzept der schrittweisen Näherung herantasten), ist der ganze Erzählbereich (vollständige y-Achse) in beide Richtungen unbegrenzt – jedoch nur theoretisch: da der physische Raum in einem ersten Schritt an den Grenzen der planetaren Physik gebunden ist, sind auch die Weiten der y-Achse begrenzt. Denkbar wären aber auch Erweiterungen im Raum über die üblichen Dimensionen hinweg. Die Optionen der theoretischen Mathematik, die mit mehr als drei Raumdimensionen rechnet, kann an dieser Stelle vernachlässigt werden, da in diesem Konzept zur Vereinfachung selbst die drei reellen Dimensionen, Länge, Höhe, Breite, auf eine Erzählebene reduziert werden.
Die Kombination der Zeit mit der Erzählebene im Koordinatensystem ist denkbar einfach. Da die Zeit konstant für beide Novellen verläuft, ist jeder Zeitpunkt eindeutig zuordenbar. Zeitpunkt x1 definiert einen Zeitpunkt auf der x-Achse. Indem man an diesem Punkt senkrecht nach oben oder nach unten eine Linie zieht, erkennt man, wo die Erzählebenen liegen. Die „Höhe“ der Erzählebene definiert den räumlichen Abstand der einen Novelle zur anderen, da die Erzählebene der einen immer gleich Null ist. Somit kann man mathematisch exakt definieren, wie groß der Abstand der beiden Erzählebenen zu einem bestimmten Zeitpunkt ist.
Aus den bisherigen Erkenntnissen lassen sich die ersten Sätze ableiten:
Satz 1:
Die Erzählzeit ist für alle Novellen konstant und gleich.
Satz 2:
Der Abstand der Erzählebenen ist die „Höhe“ derjenigen Novelle, die nicht auf der x-Achse liegt.
Satz 3:
Im Prinzip sind die x-Achse und die y-Achse in alle Richtungen offen. Restriktive zeitliche und räumliche Gegebenheiten definieren jedoch ein nicht unendliches Raum/Zeit-Koordinatensystem.
Wenn man zwei Novellen in einem Raum und einer Zeit betrachten will, stellt sich sogleich die Frage, wie beide zueinander liegen. Bewegen sie sich aufeinander zu? Driften sie voneinander weg? Gibt es Phänomene wie z.B. Parallelnovellen?
Diese Frage kann man der Bestimmung des Divergenz- bzw. Konvergenzgrads bestimmen, zwei Winkel, die das Aufeinanderzulaufen oder Voneinanderentfernen bemessen.
Bei den beiden Graden ist wichtig zu erwähnen, dass auch sie gewissen Restriktionen unterworfen sind. Da die Zeit voranschreitend ist, gibt es einen Maximalgrad, der für beide Grade gleichermaßen gilt.
Satz 4:
Der theoretische Maximalwert eines Grades ist 90°, doch dieser Wert ist aufgrund der physischen Umwelt nicht erreichbar (Einschränkung hierbei sind technische Hilfsmittel, wie man bei der Stufennovelle sehen wird). Bei zwei Novellen, die beide auf der Erde zur gleichen Zeit spielen, sind viele Faktoren so nahe beieinander, dass ein Wert von 45° kaum überschreitbar scheint, wobei anzumerken ist, dass dieser Wert ein Schätzwert ohne praktische Berechnung ist. Wohingegen die 90°-Regel dadurch nicht veränderbar ist.
Ein weiterer Spezialfall ist die Parallelität zweier Novellen, die zur gleichen Zeit ablaufen. Dabei sind beide Grade 0, da die beiden Novellen nicht aufeinander zulaufen. Ein Aneinandervorbeileben wäre ein erster Hinweis auf eine solche Konstellation, die jedoch in ihrer strengsten Form nur äußerst selten vorkommen sollte.
Zwei eher reellere Fälle bilden disruptive Elemente des plötzlichen Auseinandergehens oder des zufälligen Zusammentreffens. In beiden Fällen bewegen sich die beiden Novellen eine Zeitlang parallel, auf selber Höhe (die Höhe ist bei entweder bei beiden Null (was bedeuten würde, dass es sich nur um eine Novelle handelt und keine Doppelnovelle ist), oder die Höhe der zweiten Novelle ist so verschwindend gering (aber nicht Null!), dass man den Eindruck haben könnte, es wäre nur eine Novelle (die es aber nicht ist)). Der Unterschied liegt darin, dass sich beide Novellen aufeinander zu bewegen, bis sie, aufeinanderliegend, weiter in der Zeit existieren, während die andere Variante sich zunächst parallel aufeinander liegend bewegt, um sich dann voneinander zu trennen. Liebesbeziehungen bzw. Scheidungsgeschichten wären ein Beispiel für solche Typen.
Der Treffpunkt beider Novellen, den es nur in zwei Fällen (z.B. Parallelnovellen) nicht gibt, bestimmt die einzelnen Erzähllängen. Die Anzahl der Treffpunkte kann theoretisch sehr groß sein. Standardfall sollte aber 1 Treffpunkt sein.
Satz 5:
Wenn T die Anzahl der Treffpunkte (Nicht-Null Annahme muss gelten!) innerhalb einer Doppelnovelle ist, dann existieren T+1 Erzähllängen.
Satz 6:
Bei einer oszillierenden Doppelnovelle (mehrere Treffpunkte in kürzeren Abständen) kann aufgrund der Gradbeschränkung der Abstand der Erzählebenen nicht sehr groß sein. Bei T gegen unendlich geht der Abstand gegen 0, ohne 0 zu sein.
Eine Kombination aus diesen Merkmalen einer Doppelnovelle lässt einen weiteren Extremfall zu, der z.B. durch die fortschreitende Technik möglich ist. Auch wenn zwei Novellen an zwei weit entfernten Orten stattfinden, gibt es z.B. über das Telefon oder das Internet die Möglichkeit, den gefühlten Raum zu harmonisieren. Damit ist das Momentum der Plötzlichkeit möglich, der in einer normalen Doppelnovelle so nicht möglich ist.
Auch wenn die Stufennovellen zwar innerhalb des mathematischen theoretischen Konstrukts (insbesondere der Maßgabe, dass kein Grad annähernd 90° haben kann) liegt, aber ohne technische Hilfsmittel nie zustände käme, so bietet diese Darstellung jedoch die Möglichkeit, die Veränderung des menschlichen Lebens und des menschlichen Agierens mittels der fortschreitenden Technik darzustellen.
Eine weitere Variante, die ebenfalls vielmehr der Darstellung und der Analyse dient, als dem mathematischen Konstrukt zu 100% zu unterliegen ist, dass der Grundgedanke liegt darin, dass man, wenn die eine Novelle auf die x-Achse normiert, d. h. gezwungen, wird, kaum die Auswirkung jeder einzelnen Novelle genau beschreiben kann. Daher gibt es die Möglichkeit, von dieser Norm der x-Achsen-Fokussierung abzuweichen, um die Einflüsse jeder Novelle explizit beschreiben zu können.
Satz 7a:
Die Aufsplitterung der Konvergenz- und Divergenzgrade auf die einzelnen Novellen, um die Einflüsse explizit ausweisen zu können, entspricht nicht 100% dem mathematischen Prinzip und dient allein der Darstellung.
Satz 7b:
Die Summe aller Teilgrade ist gleich der mathematisch ermittelten Größe des Grades bei Fixierung der einen Novelle auf der x-Achse.
Während Satz 7a die Möglichkeit bietet, zur besseren Darstellung der Einflüsse einer jeden Novelle die Grade aufzuspalten, so dient Satz 7b der Rückversicherung, dass mit der Aufsplitterung des einen Grades auf die zwei Einflüsse der Gesamtgrad-Faktor weder steigt noch sinkt.
Ein weiterer Punkt, der gerne in der Fiktion als Methode des Erzählens herangezogen wird, ist die Zeitreise. Ob nun real oder aus rein erzähltechnischen Gründen, widerspricht die Nutzung dieses Konzept den Grundregeln der Doppelnovellenstruktur, da Zeitdivergenz kaum zu kontrollieren erscheint.
Satz 8:
Die Erzählzeit ist kontinuierlich bei Nichtannahme von Zeitreisen. Damit gibt es zu jedem Zeitpunkt xi immer auch nur 2 Erzählebenen (je 1 pro Novelle)
Die bisher beschreibend mathematischen Konzepte sind zwar bereits weitreichend, aber keineswegs ausreichend, denn noch immer gibt es offene Punkte, die nach einer Antwort verlangen. Dabei bilden die Sätze 9 bis 11 die Basis für eine Einordnung der Doppelnovelle in den formalen Kontext über die Doppelnovelle hinaus.
Satz 9:
Unabhängigkeit. Beide Novellen innerhalb einer Doppelnovelle sind voneinander vollständig unabhängig. Jede kann für sich selbst existieren.
Die Aussage in Satz 9 wird nicht direkt klar, denn sogleich kommt dem Nachdenkenden die Frage in den Sinn, ob sich denn beide Novellen nicht gegenseitig beeinflussen – was eine Abhängigkeit darstellen würde. Das ist auch insoweit richtig, denn die Unabhängigkeit in Satz 9 sagt nur, dass es eine zeitliche und räumliche, aber keineswegs eine inhaltliche Unabhängigkeit geben muss. Inhalte können, ja müssen (selbst in der Parallelnovelle) miteinander korrelieren! Dass sich beide Novellen auch durch die Korrelation im Raum selbst und damit auf der y-Achse verändern, ist damit auch abgedeckt, denn der zweite Teil von Satz 9 sagt nur, dass die Novellen auch eigenständig existieren, also nicht in einer Doppelnovelle existieren müssen. Sie können – und sie können sich verändern, gegenseitig beeinflussen. Sie müssen es aber nicht.
Satz 10:
Beide Novellen sind eigenständig. Wird die eine nicht erzählt, kann die andere dennoch erzählt werden.
Um diesen durchaus offenen Punkt in Satz 9 einzudämmen, präzisiert Satz 10 den offenen Punkt und schließt ihn damit. In der Kombination aus Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ist gegeben, dass eine Novelle alleine für sich steht, aber jederzeit in ihrem Inhalt – und auch im Raum und damit bezogen auf ihre Erzählebene – beeinflussbar ist.
Satz 11:
Die Anzahl der möglichen Erzählebenen und die Erzählzeit (also die Spanne zwischen Erzählbeginn und Erzählende) sind über die Novellenform limitiert. Eine Doppelnovelle besteht aus zwei (und nur aus zwei!) miteinander korrelierenden Novellen.
Satz 11 ist im Gegensatz zu Satz 9 und 10 etwas komplexer in der Aussage, aber nichtsdestoweniger wichtig für die Beschreibung der Form der Doppelnovelle. Kern dieser Aussage ist, dass eine Doppelnovelle aus zwei miteinander korrelierten Novellen besteht, die beide in ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit Novellen sind. Das bedeutet, dass die Form der Einzelelemente genauso stimmen muss wie die komplexere Struktur der zusammengefügten Teile.
Ein weiterer Punkt ist die Beschreibung des Spannungsfeldes, in dem sich die Novelle befindet. Denn die Kombination aus Erzählebene, Erzählzeit, Erzähllängen und erzähltem Inhalt, der sich um T Treffpunkte herumspinnt, fordert eine enge Beschreibung des Feldes, in dem sich die Doppelnovelle bewegt. Dabei ist die Grenze der Doppelnovelle die Grenze der Einzelnovellen – mit der Einschränkung, dass eine Doppelnovelle nicht als Akzelerator eines Einzelelements dienen darf.
Satz 12:
Satz 12 sagt einfach, dass eine jede Doppelnovelle, in der die Erzählebenen und/oder die Erzählzeit gegen unendlich gehen, zum Roman wird.
Satz 13:
Satz 13 ist die Umkehr von Satz 12: Geht die Erzählzeit und die Erzählebene gegen Null, wird die Doppelnovelle zur Kurzgeschichte.
Wie Satz 12 ist auch die Aussage in Satz 13 keineswegs eine feste. Denn damit wäre der Übergang klar definiert, doch in beiden Fällen – nach oben und nach unten – sind die Übergänge unklar – beinahe diffus. Was bei dem einen noch eine Novelle ist, ist bei dem anderen ein (Kurz-)Roman. Mit dieser Tatsache muss man am Ende leben, aber sie ist auf keinen Fall ein Problem für die Doppelnovelle, die aufgrund der Sätze 9, 10 und 11 nicht über die eigentliche Normierung der Einzelnovellen hinaus darf. Das bedeutet auch, dass wenn man sich sicher ist, dass die beiden eigenständigen und unabhängigen Einzelnovellen Novellen sind, dann liegt auch die Doppelnovelle in diesem Bereich.
Die Abgrenzung gegenüber dem Roman und der Kurzgeschichte dient der Verdeutlichung, in welchem Spannungsfeld sich die Doppelnovelle – und damit auch jede der beiden Einzelnovellen – befindet. Das Kreuzprodukt von Erzählzeit und Erzählebenen verhindert, dass die Falscheinordnung, falls eines von beiden deutlich den anderen dominiert. Wenn man sich nun ein neues Koordinatenkreuz denkt: auf der y-Achse ist die Wahrscheinlichkeit abgetragen, auf der x-Achse das Kreuzprodukt von Erzählzeit und Erzählebenen. Man sieht eindeutig, dass es in einem bestimmten Bereich ziemlich wahrscheinlich ist, dass es eine (Doppel-)Novelle ist, wobei die Skala p(x) nach oben in der Höhe nicht definiert sein kann. Damit liegt die Spitze des Dreiecks auf keinen Fall (!) bei 1, also bei 100%. Sie ist nur als Form wahrscheinlicher als die Kurzgeschichte und der Roman.
Die Frage nach den Merkmalen und der Form einer Doppelnovelle führt sogleich zu einer der zentralen Fragestellungen:
Gibt es über die Doppelnovelle hinweg noch weitere Formen (Tripelnovellen, Quadrupel-Novellen…)?
Diese Frage kann schnell beantwortet werden und wirft in ihrer schnellen Antwort so viele Fragen auf, dass es mit der Schnelligkeit schnell vorbei ist. Tripelnovellen, Quadrupel-Novellen, also drei oder vier eigenständige, unabhängige Einzelnovellen, die miteinander inhaltlich korrelieren sind theoretisch möglich, aber widersprechen in ihrer Steigerung dem Grundsatz, dass die Doppelnovelle niemals über den Merkmalen und Formeigenschaften der Einzelnovellen liegen darf. Dies aber geschieht genau dann, wenn man mehr als zwei Novellen miteinander inhaltlich korreliert, wobei eine Tripelnovelle noch eher denkbar wäre als eine Quadrupel-Novelle. Doch bei diesen sind wir sehr nahe im Grenzbereich zum Roman, vor allem dem Episodenroman.
Mathematisch und aus der Vorstellungskraft heraus ist eine andere Frage viel interessanter: Gibt es eine halbe Doppelnovelle und worin liegt dann der Unterschied zur Einzelnovelle? Gibt es Drittel- und Viertel-Doppelnovellen?
Satz 14:
Theoretisch gibt es mehr als nur die Novelle und die Doppelnovelle. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine solche Form zu treffen, ist jedoch gering.
Damit ist diese Frage mit einem Augenzwinkern abgetan – auch wenn die Antwort der Frage nicht ganz gereicht, aber es ist müßig, über Kuchenteile zu streiten, wenn es schon schwierig genug ist, den Kuchen erst mal zu backen.
Welche Arten der Doppelnovellen sind denkbar?
In diesem Einführungstext wurden bereits mehrere Grundformen angesprochen. Die häufigsten Doppelnovellen werden einfache Kreuzdoppelnovellen, Wünschelrutennovellen oder Doppelnovellen mit T=2 sein. Diese sollen damit auch dir Grundformen darstellen, alles andere sind Spezialformen, die mathematisch zwar sehr gut funktionieren, aber erzähltechnische Herausforderungen mit sich bringen.
Schlussbemerkung
Das Konzept der Doppelnovelle ist mit diesem kurzen Text nur angerissen, aber keineswegs in seiner gesamten Ausdehnung betrachtet worden. Wichtigster Kernpunkt ist jedoch, dass sich die Mathematik dafür gebrauchen lässt, grundsätzliche Strukturen der Doppelnovelle zu beschreiben, in dem Sinne, dass darüber diskutiert werden kann. Ob es notwendig ist, die mathematischen Grundbegriffe, die über die Sätze und Beschreibungen eingeführt wurden, weiter auszubauen, bleibt abzuwarten.
Eine sinnvolle Kurvendiskussion mit Ableitungsfunktionen, Integralbetrachtungen und Winkelberechnungen scheint sinnvoll, bietet aber auch das Einfallstor für Verwässerungen der bisher eindeutigen Struktur, die absichtlich begrenzt wurde (siehe Tripelnovellen…).
Auch wäre eine Erweiterung von einem zweidimensionalen zu einem dreidimensionalen Koordinatensystem denkbar, auch wenn die Hinzunahme von handelnden Personen, Ortschaften oder Einzelmerkmalen durchaus auch zur Unübersichtlichkeit – oder ganz schwierig: zu Beliebigkeit führen kann. Die Limitierung auf zwei Dimensionen in dieser Einführung hatte vor allem den Grund, dass die Erzählzeit und die Erzählebenen betrachtet werden sollen, nicht der Inhalt, da diese beiden Aspekte mathematisch bestimmbar und damit darstellbar sind – und eine mathematische Betrachtung, die zweifelsfrei dargestellt werden kann, ist erst einmal klar vermittelbar. Dabei dienen vor allem die Sätze als Leitmaximen, mit denen man immer sicher nachvollziehen kann, ob und wenn, um wie stark es sich um eine Doppelnovelle handelt.
Anhang: Die Sätze (als Sammlung)
Satz 1:
Die Erzählzeit ist für alle Novellen konstant und gleich.
Satz 2:
Der Abstand der Erzählebenen ist die „Höhe“ derjenigen Novelle, die nicht auf der x-Achse liegt.
Satz 3:
Im Prinzip sind die x-Achse und die y-Achse in alle Richtungen offen. Restriktive zeitliche und räumliche Gegebenheiten definieren jedoch ein nicht unendliches Raum/Zeit-Koordinatensystem.
Satz 4:
Der theoretische Maximalwert eines Grades ist 90°, doch dieser Wert ist aufgrund der physischen Umwelt nicht erreichbar (Einschränkung hierbei sind technische Hilfsmittel, wie man bei der Stufennovelle sehen wird). Bei zwei Novellen, die beide auf der Erde zur gleichen Zeit spielen, sind viele Faktoren so nahe beieinander, dass ein Wert von 45° kaum überschreitbar scheint, wobei anzumerken ist, dass dieser Wert ein Schätzwert ohne praktische Berechnung ist. Wohingegen die 90°-Regel dadurch nicht veränderbar ist.
Satz 5:
Wenn T die Anzahl der Treffpunkte (Nicht-Null Annahme muss gelten!) innerhalb einer Doppelnovelle ist, dann existieren T+1 Erzähllängen.
Satz 6:
Bei einer oszillierenden Doppelnovelle (mehrere Treffpunkte in kürzeren Abständen) kann aufgrund der Gradbeschränkung der Abstand der Erzählebenen nicht sehr groß sein. Bei T gegen unendlich geht der Abstand gegen 0, ohne 0 zu sein.
Satz 7a:
Die Aufsplitterung der Konvergenz- und Divergenzgrade auf die einzelnen Novellen, um die Einflüsse explizit ausweisen zu können, entspricht nicht 100% dem mathematischen Prinzip und dient allein der Darstellung.
Satz 7b:
Die Summe aller Teilgrade ist gleich der mathematisch ermittelten Größe des Grades bei Fixierung der einen Novelle auf der x-Achse.
Satz 8:
Die Erzählzeit ist kontinuierlich bei Nichtannahme von Zeitreisen. Damit gibt es zu jedem Zeitpunkt xi immer auch nur 2 Erzählebenen (je 1 pro Novelle)
Satz 9:
Unabhängigkeit. Beide Novellen innerhalb einer Doppelnovelle sind voneinander vollständig unabhängig. Jede kann für sich selbst existieren.
Satz 10:
Beide Novellen sind eigenständig. Wird die eine nicht erzählt, kann die andere dennoch erzählt werden.
Satz 11:
Die Anzahl der möglichen Erzählebenen und die Erzählzeit (also die Spanne zwischen Erzählbeginn und Erzählende) sind über die Novellenform limitiert. Eine Doppelnovelle besteht aus zwei (und nur aus zwei!) miteinander korrelierenden Novellen.
Satz 12:
Satz 12 sagt einfach, dass eine jede Doppelnovelle, in der die Erzählebenen und/oder die Erzählzeit gegen unendlich gehen, zum Roman wird.
Satz 13:
Satz 13 ist die Umkehr von Satz 12: Geht die Erzählzeit und die Erzählebene gegen Null, wird die Doppelnovelle zur Kurzgeschichte.
Satz 14:
Theoretisch gibt es mehr als nur die Novelle und die Doppelnovelle. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine solche Form zu treffen, ist jedoch gering.