Eine wahre und daher umso grausamere Fügung des Schicksals

Eine wahre und daher umso grausamere Fügung des Schicksals

[Kurzgeschichte. Veröffentlicht in Das Buch der vergessenen Geschichte Band 2. 2025]

Eine wahre und daher umso grausamere Fügung des Schicksals

Inmitten der Wirren des Zweiten Weltkriegs – oder schon eher gegen Ende hin – geschah etwas im Jahr 1944, das in seiner Wahrheit einer Legende gleicht, aber aufgrund des wahren Wertes eine so grausame Fügung des Schicksals ist, dass diese zeigt, wie dünn der Faden ist, an dem das Leben hängt – insbesondere wenn Krieg herrscht.

Die Amerikaner flogen mit ihren Kampfbombern von den Ardennenflugplätzen über die Grenze und die Front hinweg Angriffe auf deutsche Städte und machten auch bei jeder Stadt, in der die Ereignisse stattfanden, von denen hier berichtet wird, keine Ausnahme. Eine junge Doktorenfamilie suchte in ihrem Luftschutzbunker Zuflucht, als die Sirenen aufheulten, und die Mutter musste lange zittern, ehe auch der letzte Bub ihrer vier Kinder in den Bunker gerannt kam. Nun waren sie alle zusammen – der Vater, der ein Allgemeinmediziner und hoch angesehen im Städtchen war, seine Mutter, die vor und während des Krieges der Familie im Haushalt und in der Abfertigung der vielen Patienten geholfen hatte, die Frau des Doktors und Mutter der vier Kinder, der älteste Bub, die beiden darauffolgenden Schwestern und schließlich der jüngste, der noch einer Katze hintergelaufen war, die er versuchte einzufangen, ehe es dieser gelang, mittels eines waghalsigen Sprunges zu entfliehen. So kam der jüngste Bub nach Hause zurück und erwartete Schelte ob der leeren Hände und des ebenso leeren Magens, doch die Sirenen holten ihn und seine Sorgen ein, sodass er die Beine in die Hände nahm und nach Hause rannte, wo bereits alle im Luftschutzbunker versammelt waren. Wie bei jedem Angriff hatte die Großmutter der vier Kinder das Fenster zum Hang nach oben geöffnet, damit man anhand der Geräusche zumindest erahnen konnte, wie schwerwiegend die Bombardierung war und wie lange es noch dauern würde, bis die Maschinen überhaupt eintrafen. So warteten die sieben Menschen, die der Krieg noch nicht auseinandergerissen hatte, im Luftschutzbunker auf die Maschinen der Amerikaner, auf deren Bomben, und beteten, dass sie auch dieses Mal das Bombardement ohne Verluste in ihren Reihen überstehen würden.

Weiter oben am Hang hatte eine andere Familie schon beim Angriff zuvor großes Pech gehabt, als eine schwere Bombe genau das Dach ihres Hauses traf, zu ihrem Glück weit oberhalb, am Dachstuhl explodierte und somit eine Menge des Drucks in die Luft entwich; am Haus selber sah man das Loch in der Decke, durch das man des Nachts die Sterne klar und deutlich sehen konnte, und eine Öffnung in der Wand, an der sich der Druck der Bombe bei der Entladung gesammelt hatte. In diesem Haus selbst lebten nur noch eine alte Frau mit ihrem Enkelsohn, dessen Mutter während eines früheren Bombardements getötet worden war, während der Vater an der Front kämpfte und man sich kaum mehr sicher sein konnte, dass er überhaupt noch lebte. Als die Sirenen zu heulen begannen, flohen die beiden in die Ecke des Hauses, in dem sie sich eine Schutzmauer errichtet hatten, die sie von anderen, zusammengebombten Häusern mitgenommen hatten. Auch wenn diese Schutzmauer selbst bei einem sehr ungenauen Treffer keinerlei Schutzwirkung gehabt hätte, sondern vielmehr sogar ein verschärftes Risiko dargestellt hätte, so vermittelte sie dem Jungen jedoch das Gefühl einer gewissen Sicherheit; da das Haus selbst keinen stabilen Keller oder gar Luftschutzbunker hatte, schien eine solche Mauer bei einem weiteren direkten Treffer die letzte Hoffnung für die beiden zu sein.

Als die amerikanischen Bomber nun heranflogen und die Sirenen bereits seit mehr als zehn Minuten erklangen, fügte sich das Schicksal, dass das Haus mit dem Loch und den zwei verängstigten Menschen hinter der wackeligen Mauer ein zweites Mal voll getroffen wurde – und wiederum traf die Bombe genau das Loch im Dach, wodurch der Sprengkörper ungebremst nach unten durch den Dachstuhl in die Wohnstube plumpsen konnte, dort, wo die beiden Verbliebenen sich hinter der Mauer kauerten; doch als die Bombe mit voller Wucht auf den Boden aufschlug und nicht sofort explodierte, war es, als ob sich das Schicksal neu entscheiden würde, denn die Bombe schwankte und wankte, rollte durchs Zimmer, traf auf das Loch in der Wand, kullerte nach draußen auf den Rasen, rollte weiter und geriet immer mehr in Fahrt, da der Rasen nach unten hin abschüssig war. Und weil sich das Schicksal fügte, dass die Bombe zwei Löcher so genau traf, dass sie nicht explodierte, fügte es sich, dass sie auch das dritte Loch traf – doch dieses Mal gab es keinen Weg mehr nach draußen.