Die Schlacht
[Kurzgeschichte. Veröffentlicht in ungebunden. Anthologie. 2025]

Die Schlacht
Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich auf die Idee kommen, dass vor mir ein Haufen Gladiatoren steht, der gleich mit Kuchengabel und Messer bewaffnet über den Geburtstagskuchen herfallen wird, um ihn in alle Einzelteile zu zerlegen.
Dass wir zu diesem Punkt am Kindergeburtstag gekommen sind, grenzt für mich an ein Wunder, das ich in meiner persönlichen Emotionalität locker zu den Weltwundern zählen müsste.
Es fing alles damit an, dass wir nach und nach die Kinder ins Haus ließen, die wir zum Geburtstag des jüngsten Sohnes eingeladen hatten – und man möchte meinen, dass wir mit der großen Tochter und dem älteren Bruder genug Erfahrungen gesammelt haben, um jegliche Form des stressigen Kindergeburtstags mit einer lockeren Eleganz wegzulächeln.
Doch weit gefehlt!
Wir ließen also die Kinder in unser Haus und freuten uns, dass alle brav ein Geschenk abgaben, das wir nachher beim modernen Kindergeburtstagsflaschendrehen nacheinander aufmachen würden, und gaben den Kindern erst einmal Raum, anzukommen und untereinander ein wenig zu spielen.
Dabei hätte uns bereits auffallen können, dass diese Gruppe weder in sich homogen war, noch in Anzahl und Auslenkung von kaum zu bändigender Energie eine Ausgewogenheit in sich hatte, sodass wir beide von Anfang an gefühlt jede Sekunde mit einem oder mehreren der Kinder beschäftigt waren.
Wir hatten uns als geübte Eltern natürlich ein Programm zurechtgelegt, das die Phasen des Spielens, des Kuchenessens und des Tobens sinnvoll unterbrach, doch als ich zur lang konzipierten, selbst geschriebenen und in vielen Selbstversuchen geprüften Schatzsuche kommen wollte, hatte ich anteilig maximal fünf der acht Kinder in meiner Nähe, und auch meine Frau schaffte es kaum, weitere Kinder zu mir zu treiben, ohne dass sich die ersten bereits wieder zum Spielen an einen anderen Ort verabschiedeten.
Wir waren absolut sicher davon ausgegangen, dass wir mit der Schatzsuche richtig lagen, doch am Ende entschied ich, dass nur vier Kinder – und damit die Hälfte – mit mir auf Schatzsuche gingen.
Aus einer gesunden Erwachsenenlogik heraus könnte man jetzt auf die Idee kommen, dass diejenigen Kinder, die bei der Schatzsuche nicht dabei gewesen sind, auch keinen Teil der Beute erhalten, doch bei Kindern funktioniert Verteilungslogik naturgemäß anders.
Gab es vorher in etwa drei Grüppchen – zuweilen wechselnder Weise –, spaltete sich die Gruppe nun schließlich in zwei Lager: wir gegen die!
Diese Kampfansage sollte den weiteren Verlauf des Kindergeburtstags eminent beeinflussen, was sich im Folgenden besonders beim Flaschendrehen und Entchenangeln zeigte, wo der kindliche Neid, der durchaus seine heftigen Spitzen haben konnte, voll durchbrach.
Den Höhepunkt der Konfrontation erreichten wir kurz vor dem Kuchenessen, als sich die Gruppen binnen weniger Augenblicke verselbstständigten und den Geburtstag zu einer Kissen-/Kuscheltier-/Decken-/Getränkebecher-Schlacht transformierten, die wir nur mit Mühe und Not und harschen Ansagen eindämmen konnten.
Dennoch – und das ist die viel zu späte Erkenntnis, dass wir die aufgewühlte Energie sicher nicht aus der Gruppe herausbekommen, indem wir weiteren Zucker in die Blutbahnen der Kinder pumpen – waren wir so kurzsichtig und hofften, dass die Nachrichten vom Kuchenessen die Gemüter besänftigen würden.
Nun stehen also die Gladiatoren in Reih und Glied und klopfen mit dem Besteck wie mit Harken und Piken auf den Boden, ehe sie in Wikingermanier den Kuchen in sich schaufeln oder ihn alternativ wie Alchemisten zu Kuchenkrümelstaub transformieren.
Meine Frau und ich stützen uns gegenseitig und entscheiden, die Kinder für einen Moment in ihrem Vernichtungswahn alleine zu lassen, doch als ich meinen Blick zur Uhr richte und feststellen muss, dass erst ein Drittel der Zeit vorbei ist, ahne ich, dass die Schlacht erst der Anfang des Krieges in unserem Haus ist.