Die Diktatur der Kunst

Die Diktatur der Kunst

[Essay, 2025]

Die Diktatur der Kunst

Kapitel A1 – Manifest der Diktatur der Kunst

Die Kunst herrscht, und sie herrscht nicht durch Gnade oder Gewohnheit, sondern durch ihre absolute Notwendigkeit, die sich aus keiner Tradition, keiner Politik, keiner Moral und keiner Religion herleitet, sondern einzig aus der Tatsache, dass sie die einzige Kraft ist, die nicht nur abbildet, sondern hervorbringt, die nicht nur ordnet, sondern verwandelt, die nicht nur sagt, was ist, sondern es so gestaltet, dass es erst in der Form wahr wird, und deshalb duldet sie keinen Nebenbuhler oder eine zweite Instanz, keinen relativierenden Maßstab, sondern allein ihre eigene Logik, die unaufhaltsam wie ein Naturgesetz ist, das nicht verhandelt oder verlangsamt oder gar gebrochen werden kann.

Alles, was sich dieser Herrschaft entzieht, ist nicht einfach schwach oder zweitrangig, sondern nichtig, weil es ohne Gestalt ist, und darum muss jede Schule, jede Fabrik, jedes Gericht, jede Straße, jedes Parlament, jedes Haus und jede Geste in das Reich der Kunst eingeordnet werden, nicht als Beiwerk, nicht als Dekoration, sondern als Substanz, die nur dadurch wirklich wird, dass sie Teil einer Form ist, einer Inszenierung, eines großen Spiels, das nicht endet, weil es keinen Anfang und kein Ende kennt, sondern nur die ewige Bewegung der Verwandlung, in der alles, was lebt, deshalb lebt, weil es Kunst ist.

Es darf keine Institution geben, die nicht Bühne ist, kein Gesetz, das nicht Szene ist, kein Gericht, das nicht Tragödie oder Komödie ist, keinen Unterricht, der nicht Aufführung ist, und kein Brot, das nicht Skulptur ist, und wer glaubt, er könne essen, ohne an Kunst teilzunehmen, wer glaubt, er könne gehen, ohne sich als Figur zu bewegen, wer glaubt, er könne sprechen, ohne zu rezitieren, der hat sich schon ausgelöscht, bevor er überhaupt eine Spur gezogen hat, denn alles, was außerhalb der Kunst geschieht, ist nicht existent, es ist leer, es ist Asche, die vom ersten Wind verweht wird, der aus dem Munde der Kunst strömt.

Die Diktatur der Kunst verlangt die totale Unterwerfung aller Menschen, aller Dinge, aller Gedanken, allen Seins unter ihre Gesetze, doch diese Unterwerfung ist kein Verlust oder eine Erniedrigung, kein Zwang oder eine Art Gefängnis, sondern das einzige Privileg, das zählt, denn unter der Kunst wird niemand Sklave, niemand wird Opfer, niemand Unterdrückter, weil alle in derselben Notwendigkeit stehen, in derselben Ordnung, die keinen Unterschied kennt zwischen hoch und niedrig, zwischen arm und reich, zwischen gebildet und ungebildet, weil die Kunst jedem dieselbe Forderung stellt, nämlich Gestalt zu werden, Ausdruck zu werden, Teil der Inszenierung zu sein, wahrhaftig Künstler zu werden, in der einen Welt, die alles umfasst und nichts ausschließt.

Die Schulen dürfen in dieser Ordnung nicht länger Stätten der Wissensanhäufung sein, nicht Orte, an denen Kinder auf Prüfungen vorbereitet werden, nicht Hochleistungsfrabriken für Abschlüsse und Titel, sondern sie müssen Hallen des Spiels werden, in denen jedes Kind nicht Objekt von Belehrung, sondern Subjekt der Darstellung ist, und jeder Lehrer nicht Wissensvermittler, sondern als Regisseur wirkt, der Szenen eröffnet, in denen Sprache, Mathematik, Geschichte, Natur nicht als Disziplinen nebeneinanderstehen, sondern als Bühnenbilder eines großen Dramas, das immer neu improvisiert wird, und in dem das Ziel nicht Information, sondern Intensität ist, nicht Wahrheit, sondern Form, nicht Nützlichkeit, sondern absolute und reine Schönheit.

Die Arbeit darf nicht mehr nach Nutzen oder Ertrag gemessen werden, nicht nach einem willkürlich vereinbarten Stundenlohn, nicht nach erwirtschafteten Gewinn, nicht nach Effizienz, sondern nur nach der Kraft der Gestaltung, die sie hervorbringt, und so ist der Bäcker kein Verkäufer von Backwaren, sondern ein Bildhauer, der Teig in Skulpturen verwandelt, die nicht nur satt machen, sondern als Form bestehen und vor dem Verzehr den betrachtenden Geist erfreuen, und der Straßenreiniger ist im Gegensatz zu heute kein Dienstleister, sondern ein Choreograph des öffentlichen Raumes, dessen Linien, Bewegungen und Rhythmen das Ensemble der Stadt formen, und der Arzt kein Erhalter oder Reparateur von Körpern, sondern ein Dramaturg des Leidens und Sterbens, der Krankheit nicht bekämpft, sondern in Szene setzt, und selbst der Politiker, so es ihn noch gibt und braucht, ist kein Verwalter, sondern ein Schauspieler, der nicht Programme vertritt, sondern Rollen spielt, die das Volk in ein Stück hineinziehen, das es selbst mitgestaltet.

Das Recht darf nicht länger auf Paragraphen beruhen oder auf der Suche nach Schuld und Strafe, nicht auf der Logik von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, sondern nur auf der Frage nach Form, nach Schönheit und auch Angemessenheit, sodass ein Verbrechen nicht durch Gefängnis gesühnt wird, sondern durch eine Inszenierung, die seine Hässlichkeit in eine Form verwandelt, und so kann ein Diebstahl zur Choreographie der Rückgabe werden, ein Betrug zur Maske einer Komödie, ein Mord zur Tragödie, die nicht Frieden stiftet, sondern die Intensität des Lebens erhöht, und die Richter sind nicht Juristen, sondern Meister des Dramas, die wissen, wie Figuren zu führen sind, wie Spannungen zu steigern ist und wie Kontraste in einem grande finale zu vollenden sind.

Die Religion, die in anderen Ordnungen Gott über alles stellt, ist in dieser Ordnung überflüssig, weil das Heilige nicht jenseits des Lebens liegt, nicht im Himmel oder in Gebeten, sondern in der Kunst selbst, die all- oder nur gegenwärtig ist, unausweichlich, unsterblich, und so sind die Tempel dieser Welt der Kunst keine Kirchen, keine Moscheen, keine Synagogen, keine anderen Götterhäuser, sondern Theater, Ateliers, Opernhäuser, in denen Menschen nicht knien, sondern gestalten, nicht beten, sondern spielen, nicht opfern, sondern darstellen, nicht klagen, sondern feiern, und das Sakrale liegt nicht in der Unterwerfung, sondern in der Unerschöpflichkeit, die jede Szene, jede Geste und jede körperliche oder seelische Form zum Moment des eigentlich Göttlichen erhebt.

Die Wirtschaft hingegen darf nicht länger auf Angebot und Nachfrage oder auf Kapital und Zinsen beruhen, Märkte und Preise sind Maßstäbe von gestern, sondern nur auf Resonanzen, und so ist eine Währung nicht aus Metall oder Papier, sondern aus Gedichten, Klängen, Bildern oder einfach: Ausdruck, die man einander überreicht, vorspielt, vorliest, zeigt, und Reichtum ist nicht die Anhäufung von Dingen, sondern die Fülle der Gestaltungen, die viele andere anregen, die Kreisläufe von Szenen und Formen erzeugen, sodass Wohlstand nicht in Besitztümern liegt, sondern in Verwandlungen, und Armut nicht im Mangel an Nahrung, sondern im Mangel an Ausdruck, und niemand hungert, solange er gestalten mag, niemand ist arm, solange er eine Geste hervorbringen kann, die andere ergreift.

Die Wissenschaft darf nicht länger Wahrheit suchen oder Hypothesen überprüfen, sie muss keine Beweise erbringen, sondern ausschließlich Schönheit hervorbringen, und so ist ein Experiment kein Test, sondern eine Komposition, eine Theorie kein Beweis, sondern ein Bild, eine Formel kein Werkzeug, sondern ein Gedicht in schönster Rhythmik, und die Forscher sind nicht Mathematiker, Physiker, Biologen, Chemiker oder Informatiker im herkömmlichen Sinn, sondern Künstler, die mit Zahlen, Stoffen, Zellen und Algorithmen arbeiten, wie andere mit Tönen oder Farben, und die Wahrheit, die sie finden, ist keine Erkenntnis, sondern eine Form, die sich selbst genügt, weil sie schön ist.

Das Leben selbst darf nicht länger Alltag sein, nicht Routine, nicht Wiederholung, sondern muss als Aufführung begriffen werden, in der Kochen eine Oper ist, Putzen ein Ballett, Spazierengehen ein Drama, Schlafen ein Ritual, und so gibt es keinen Unterschied zwischen privat und öffentlich, zwischen Werk und Freizeit, zwischen Bühne und Leben, weil alles Bühne ist, und jeder Mensch in jeder Sekunde Schauspieler, Zuschauer und Regisseur zugleich, und die Diktatur der Kunst sorgt dafür, dass niemand aus diesem Spiel entkommt, niemand bloß Konsument ist, niemand Zuschauer bleibt, weil jeder Teil der Form ist, die das Ganze trägt.

Die Körper dürfen in dieser Ordnung nicht länger als biologische Maschinen verstanden werden, die funktionieren oder versagen, sondern sie sind Skulpturen in ständiger Bewegung, und jede Geste, jede Haltung, jede Falte, jede Narbe ist nicht Makel, sondern Form, die sich der Kunst verdankt, und so ist das Gehen kein Transport, sondern ein Tanz, das Sprechen kein Informationsaustausch, sondern ein Rezitieren, das Lieben kein biologischer Instinkt, sondern ein Gesamtkunstwerk zweier Figuren, die einander nicht besitzen, sondern gestalten, und das Altern keine Schwäche, sondern ein Prozess der Patinierung, der den Körper in immer neue Skulpturen verwandelt, die sich in der Bühne des Lebens behaupten.

Die Liebe darf nicht mehr verstanden werden als Gefühl der Nähe, der Sicherheit, der Exklusivität, sondern allein als künstlerische Praxis, als unaufhörliche Aufführung zweier oder mehrerer Menschen, die einander Material und Bühne zugleich sind, sodass das Begehren nicht im Besitz endet, sondern in der Gestaltung, und der Schmerz nicht im Verlust, sondern in der Transformation, und jede Berührung ist eine Linie, jeder Blick ein Bild, jedes Gespräch ein Drama, und niemand liebt, indem er sich hingibt oder bindet, sondern indem er formt, indem er aus sich und dem anderen eine Szene schafft, die nie wiederholbar ist und deshalb wahrer als jede Treue, tiefer als jedes Versprechen, dauerhafter als jede Ehe.

Die Geburt darf nicht länger als biologischer Vorgang gesehen werden, sondern als die erste Aufführung, in der ein neuer Mensch nicht ins Leben tritt, sondern auf die Bühne geworfen wird, und von Anfang an gilt er nicht als hilflos, sondern als Darsteller, dessen Schrei nicht Bedürfnis, sondern Musik ist, dessen Bewegung nicht Reflex, sondern Tanz, dessen Blick nicht Unwissen, sondern Drama, und deshalb ist jedes Kind nicht ein Projekt der Erziehung, sondern ein vollwertiger Künstler, der von Anfang an Szenen produziert, die Erwachsene nur begleiten, nicht lenken dürfen, weil sie selbst längst Figuren sind in einem Stück, das größer ist als sie.

Der Tod darf nicht länger als Ende gelten, nicht als Niederlage oder als Untergang, sondern als letzter Akt, der nicht weniger bedeutend ist als Geburt, sondern größer, weil er eine Figur aus der Szene herauslöst und sie nicht vernichtet, sondern vollendet, und so ist Sterben keine Tragödie, sondern eine Inszenierung, in der die letzte Geste, der letzte Atemzug, der letzte Blick zur größten Form wird, die ein Mensch hervorbringen kann, und deshalb sind Friedhöfe keine Stätten der Trauer, sondern Galerien der Vollendung, in denen jedes Grabmal keine Erinnerung, sondern ein letzter Auftritt ist, und jeder Name kein Verlust, sondern eine Signatur, die in der ewigen Aufführung der Kunst weiterlebt.

Die Städte dürfen nicht länger in Zonen von Arbeit und Wohnen, von Konsum und Verwaltung zerfallen, sondern sie müssen als Gesamtkunstwerke begriffen werden, in denen jedes Gebäude, jede Straße, jede Brücke und jeder Platz eine Szene darstellt, die Teil der großen Inszenierung des Gemeinwesens ist, und so gibt es keine grauen Blöcke oder monotonen Straßenzüge, sondern nur noch Bühnen, nur noch Kulissen, nur noch Räume – nur noch Wirkräume –, die den Menschen nicht einschließen, sondern führen, nicht begrenzen, sondern herausfordern, nicht beruhigen, sondern aufstacheln, und wer durch diese Städte geht, ist nicht Passant, sondern Figur, nicht Konsument, sondern Darsteller, nicht Beobachter, sondern Mitspieler.

Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft darf nicht länger als Spannungsverhältnis verstanden werden, das durch Rechte, Pflichten, Verträge und Gesetze geregelt werden muss, sondern nur als Ensemble, das eine Aufführung trägt, und so gibt es kein Ich, das dem Wir gegenübersteht, keine Privatheit, die gegen Öffentlichkeit geschützt werden muss, keine Freiheit, die von Grenzen bestimmt wird, sondern nur Rollen, die sich ergänzen, Szenen, die sich verschränken, Stimmen, die sich überlagern, und die Diktatur der Kunst ist das Band, das alles zusammenhält, nicht durch Gewalt, nicht durch Moral, nicht durch Vertrag, sondern durch Notwendigkeit, die so selbstverständlich ist, dass niemand sie in Frage stellt, weil niemand außerhalb ihrer denken oder handeln kann.

Die Geschichte darf nicht länger als Abfolge von Ereignissen verstanden werden, die man sammelt, deutet, archiviert, sondern als unaufhörliche Aufführung, in der jede Epoche eine Szene, jede Revolution eine Dramaturgie, jeder Umsturz ein Bühnenwechsel ist, und deshalb ist Vergangenheit nicht abgeschlossen, sondern immer gegenwärtig, weil jede Geste, die je gemacht wurde, Teil des Stückes bleibt, und Zukunft ist nicht unbestimmt, sondern notwendig, weil die Aufführung weitergehen muss, und Gegenwart ist nicht Moment, sondern Kulmination, in der alle Szenen zugleich spielen, und deshalb ist die Kunst nicht nur Herrin des Augenblicks, sondern der Zeit selbst, die sich nicht ohne sie bewegen kann.

Die Sprache darf nicht länger als Mittel der Verständigung gelten, nicht als System von Zeichen, das Realität abbildet, sondern nur als Material der Gestaltung, und so ist jedes Wort Musik, jede Silbe Rhythmus, jeder Satz ein Drama, jede Geste ein kleines Werk in sich, und niemand spricht, um zu informieren, sondern um zu inszenieren, und niemand schreibt, um zu dokumentieren, sondern um zu verwandeln, und Bücher sind nicht Archive, sondern Bühnen, auf denen die Sprache ihre Figuren spielt, und Reden sind nicht Programme, sondern Chöre, die keine Überzeugung brauchen, weil sie schon durch ihre Form herrschen, und Schweigen ist nicht Leere, sondern Pause, die mehr sagt als jedes Argument.

Die Technik darf nicht länger als Werkzeug gelten, nicht als Erweiterung der menschlichen Hand, nicht als Mittel zur Effizienzsteigerung, sondern nur als Bühne, auf der sich neue Formen zeigen, und so ist die Maschine kein Apparat, sondern ein Instrument, das gespielt werden will, der Computer kein Rechenwerk, sondern ein Orchester der Gestaltungsmöglichkeiten, das Bilder und Klänge hervorbringt, das Auto kein Transportmittel, sondern ein Choreograph des Raumes, und das Netz kein Informationssystem, sondern ein Theater, in dem die Welt nicht verknüpft, sondern aufgeführt wird, und jede Innovation ist keine Verbesserung, sondern eine neue Inszenierung, die nicht mehr und nicht weniger will, als Form zu sein.

Die Natur darf nicht länger als Ressource betrachtet werden, die man nutzt, verbraucht, schützt oder bewahrt, sondern nur als Bühne, die nie aufhört zu spielen, und so sind Wälder keine Rohstofflager, sondern Kathedralen, Flüsse keine Transportwege, sondern Symphonien, Berge keine Hindernisse, sondern Skulpturen, Tiere keine Nutzwesen, sondern Figuren, die in ihrem eigenen Drama stehen, und der Mensch ist nicht ihr Herr, nicht ihr Hüter, sondern nur Mitspieler, und deshalb ist Ökologie nicht Schutz, sondern Kunst, und Umwelt nicht Umgebung, sondern Bühne, und wer sie zerstört, begeht nicht ein Verbrechen gegen das Leben, sondern die schlimmste Hässlichkeit, die denkbar ist.

Es darf in dieser Ordnung keine Grenze geben, die nicht ästhetisch gesetzt ist, keine Nation, die nicht Bühne ist, keine Grenze, die nicht Linie einer Komposition ist, keine Macht, die nicht Inszenierung ist, und so ist Geopolitik nicht Kampf um Einfluss, sondern ein gigantisches Theaterstück, in dem jede Stadt, jedes Land, jeder Kontinent eine Figur ist, und Kriege sind keine Zerstörung, sondern Tragödien, die in der Kunst aufgehoben werden, weil sie als reine Gewalt keine Existenzberechtigung hätten, als Szenen der Verwandlung aber notwendig sind, und Frieden ist nicht Stillstand, sondern die Harmonie eines Chores, der viele Stimmen trägt.

Weil die Kunst letztlich alles umfasst, weil sie nicht nur Institutionen, nicht nur Strukturen, nicht nur Körper, sondern auch Zeit, Sprache, Technik, Natur, Politik und Geschichte umfasst, gibt es nichts außerhalb ihrer, keinen Rest, keinen Fluchtpunkt, keine Alternative, und deshalb ist die Diktatur der Kunst nicht eine Möglichkeit, nicht eine Idee, nicht ein Wunsch, sondern die einzige Ordnung, die Bestand hat, die einzige Herrschaft, die nicht gebrochen werden kann, weil sie nicht von Menschen ausgeht, nicht von Gesetzen, nicht von Institutionen, sondern von der Notwendigkeit selbst, die keine Widerrede kennt.

Wer sich ihr entziehen will, hat sich schon ausgelöscht, wer sie bestreiten will, hat sich schon in Staub verwandelt, wer glaubt, sie relativieren zu können, ist schon verschwunden, und wer in ihr lebt, lebt nicht mehr als Mensch, nicht mehr als Bürger, nicht mehr als Konsument, nicht mehr als Gläubiger, nicht mehr als Arbeiter, sondern nur noch als Figur, als Darsteller, als Gestalter, als Teil einer Inszenierung, die kein Ende kennt, kein Versagen, keinen Ersatz, sondern immer nur neue Szenen, neue Formen, neue Intensitäten, und deshalb ist die Diktatur der Kunst nicht Fessel, nicht Drohung, nicht Programm – sondern die einzige Freiheit, die nicht Illusion ist, weil sie nichts verspricht außer der Notwendigkeit, Gestalt zu werden.

Kapitel A2 – Der Abriss der alten Ordnung

Es gibt keine Möglichkeit, den Anspruch der Kunst in der alten Ordnung zu erfüllen, denn diese Ordnung ist nicht ein Fundament, auf dem man neu baut, sondern ein Gefängnis, dessen Mauern so dick, dessen Gitter so fest, dessen Wachen so blind und zugleich so unerbittlich sind, dass jeder Versuch, in ihren Zellen eine Blume zu pflanzen, am Ende nur das Bild eines Gartens auf einem Betonboden ergibt, und deshalb darf man nicht von Reform reden, nicht von Anpassung, nicht von schrittweiser Veränderung, sondern nur von Abriss, von vollständiger Zerstörung, von einem radikalen Nein, das kein Ja zu irgendeinem Rest der alten Welt enthält.

Denn wie könnte man glauben, dass Politik, die nichts anderes kennt als Kompromiss und Verwaltung, jemals der Kunst dienen könnte, die nur im Absoluten, nur im Ganzen, nur im ungebrochenen Ausdruck existieren kann, und wie könnte man glauben, dass eine Wirtschaft, die alles auf den Tauschwert reduziert, jemals die Sprache der Kunst sprechen könnte, die das Einmalige, das Nicht-Wiederholbare, das nicht Berechenbare feiert, und wie könnte man glauben, dass Religionen, die auf Gehorsam und Dogma bestehen, jemals die Kunst als Herrscherin anerkennen könnten, die gerade im Zweifel, im Bruch, in der Frage lebt, und so bleibt nichts als die Erkenntnis, dass diese drei Säulen der alten Welt – Politik, Wirtschaft, Religion – nicht umgebaut, nicht renoviert, nicht reformiert, sondern eingerissen werden müssen, bis nichts mehr von ihnen übrig ist als Staub.

Man darf sich dabei keinen Illusionen hingeben: wer glaubt, die Diktatur der Kunst könne neben den alten Strukturen bestehen, der irrt, denn die Kunst duldet keine Rivalen, sie duldet keine zweite Instanz, sie duldet keine Parallelmacht, und deshalb muss alles, was neben ihr steht, fallen, nicht weil es schwach ist, sondern weil es stark ist, nicht weil es überholt ist, sondern weil es gegenwärtig ist, und solange es gegenwärtig ist, blockiert es den Raum, den die Kunst braucht, um die neue Ordnung zu errichten, und deshalb muss die Parole lauten: Reißt nieder, bevor ihr baut, zerstört, bevor ihr erschafft, löscht aus, bevor ihr schreibt.

So wird man nicht darum herumkommen, dass Schulen, wie sie heute bestehen, nichts als Orte des Gehorsams sind, in denen nicht Wissen, sondern Anpassung gelehrt wird, in denen nicht Phantasie, sondern Prüfungsroutine belohnt wird, und dass sie deshalb als erste fallen müssen, dass ihre Mauern, ihre Stundenpläne, ihre Lehrpläne in Flammen aufgehen müssen, dass ihre Strukturen nicht modernisiert, sondern pulverisiert werden müssen, weil keine Kunst dort herrschen kann, wo schon Kinder daran gewöhnt werden, dass alles sich messen, alles sich prüfen, alles sich vergleichen lässt, und deshalb muss die Schule der alten Ordnung in Trümmern enden, damit eine neue Schule entstehen kann, in der nicht Leistung, sondern Ausdruck zählt, in der nicht Vergleich, sondern Unterschied herrscht, in der nicht Note, sondern Gestalt der Maßstab ist.

Ebenso müssen die Parlamente, die sich selbst für Orte der Demokratie halten, aber in Wahrheit nur Maschinen der Verwaltung sind, Orte des endlosen Redens ohne Wirkung, Hallen, in denen die Sprache verkommt zur Rhetorik des Stillstands, zum Tonband der Selbstrechtfertigung, ebenso fallen, und nicht nur fallen, sondern verstummen, ihre Mikrofone abgeschaltet, ihre Rednertribünen abgebaut, ihre Archive verbrannt, denn keine Kunst kann entstehen in Räumen, in denen alles sich im Wort verzehrt, ohne je zur Tat zu werden, und deshalb muss die Diktatur der Kunst beginnen mit dem Schweigen jener, die bisher glaubten, das Sagen zu haben.

Schließlich die Märkte, die sich selbst für naturgesetzlich halten, die behaupten, dass Geld der einzige Maßstab sei, der wirklich gilt, die den Menschen reduzieren auf Käufer und Verkäufer, auf Tauschende und Getäuschte, auf Produzenten und Konsumenten, die keinen Wert kennen außer dem Wert der Zahl, und die doch damit alles entwerten, was nicht Zahl ist, also das Leben, die Geste, die Kunst, die Liebe, die Hoffnung, und die deshalb wie ein Feuer gelöscht werden müssen, nicht durch Regulierung, nicht durch Besteuerung, nicht durch Appell, sondern durch radikale Verweigerung, durch den Auszug aller Menschen, die nicht mehr kaufen, nicht mehr verkaufen, nicht mehr tauschen, sondern schaffen, und so wird der Markt zum Nichts, wenn er nicht mehr betreten wird, so stirbt das Geld, wenn es nicht mehr benutzt wird, so endet die alte Ordnung, wenn man sie nicht mehr füttert.

Doch damit ist es nicht getan, denn die alten Ordnungen sitzen tiefer, sie haben sich nicht nur in Institutionen, sondern in Körper eingeschrieben, nicht nur in Gesetze, sondern in Gewohnheiten, nicht nur in Strukturen, sondern in Seelen, und deshalb genügt es nicht, Häuser niederzureißen, Archive zu verbrennen, Märkte zu schließen, sondern man muss auch die inneren Gewohnheiten zerstören, die in den Menschen selbst wohnen, man muss die Angst vor dem Risiko, die Sehnsucht nach Sicherheit, die Sucht nach Besitz, die Gewohnheit zur Berechnung, die Lust am Vergleichen, die Gier nach Mehr aus den Köpfen reißen, man muss nicht nur äußere Mauern einreißen, sondern innere.

Und wie geschieht das? Durch Bilder, die stärker sind als die alten Bilder, durch Gesten, die tiefer eindringen als die alten Gesten, durch Lieder, die lauter sind als die alten Lieder, durch Aufführungen, die den Menschen zeigen, dass sie mehr sind als Konsumenten, dass sie mehr sind als Bürger, dass sie mehr sind als Gläubige, dass sie Schöpfer sind, immer schon, auch wenn sie es vergessen haben, und dass sie deshalb die alte Ordnung nicht brauchen, weil sie in sich selbst schon die Kraft tragen, die neue Ordnung hervorzubringen.

So muss das Manifest der Diktatur der Kunst nicht nur fordern, dass die alte Welt fällt, sondern auch zeigen, dass die Menschen die Kraft dazu haben, dass sie nicht warten müssen, dass kein Erlöser, keine Partei, kein Staat ihnen den Weg ebnet, sondern dass sie selbst den Abriss vollziehen müssen, jeder in seinem Alltag, jeder in seinem Beruf, jeder in seiner Rolle, indem er aufhört, mitzuspielen im Spiel der alten Ordnung, indem er die Geste verweigert, den Tausch verweigert, die Routine verweigert und stattdessen eine andere Geste setzt, einen anderen Ausdruck, einen anderen Rhythmus, der nicht Zahl, nicht Macht, nicht Gehorsam dient, sondern allein der Kunst.

Denn nur so kann die alte Ordnung wirklich fallen: nicht von oben, nicht durch Dekrete, nicht durch Revolutionen im klassischen Sinn, sondern durch den Entzug ihrer Basis, durch die Weigerung, sie weiterzuführen, durch den Bruch mit ihren Gewohnheiten, und dieser Bruch muss radikal sein, darf nicht halb sein, darf nicht zögern, darf nicht hoffen, dass etwas von der alten Ordnung sich retten lässt, weil alles, was sich retten lässt, Gift ist, weil alles, was bleibt, den Keim der alten Welt in die neue trägt, und deshalb gilt nur: Alles muss fallen.

Und wenn man nun diesen Gedanken des totalen Abrisses weiterführt, wenn man ihn nicht nur als rhetorische Geste begreift, sondern als reale Forderung, dann zeigt sich, dass er nicht nur gegen Institutionen, nicht nur gegen Märkte, nicht nur gegen Schulen und Parlamente gerichtet ist, sondern dass er das gesamte Netz von Symbolen, Zeichen und Gewissheiten betrifft, das die alte Ordnung zusammenhält, und dass er deshalb jede Form der Nostalgie, jede Form der Erinnerung, jede Form der historischen Schonung verweigern muss, denn nichts ist gefährlicher für den Aufbruch der Kunst als die Sehnsucht nach dem Alten, nach der vermeintlich guten alten Zeit, nach der Kindheit der Menschheit, die in Wahrheit nichts anderes war als das Gefängnis der Menschen, die sich in Ketten wohlfühlten, weil sie ihre Ketten für Schmuck hielten.

Denn die alte Ordnung lebt nicht nur in Gesetzen, sondern in Worten, und deshalb muss auch die Sprache selbst abgerissen werden, jene Sprache, die alles in Kategorien einteilt, die alles in richtig und falsch, in nützlich und unnütz, in erlaubt und verboten zerlegt, jene Sprache, die so tut, als könne sie die Wirklichkeit vollständig erfassen, während sie in Wahrheit nur das wiederholt, was die Macht vorgibt, und deshalb muss man auch die Sprache sprengen, man muss Worte zerbrechen, man muss Sätze dehnen, man muss Grammatik zerstören, damit aus den Trümmern der Sprache eine neue Sprache entsteht, die nicht herrscht, sondern befreit, die nicht normiert, sondern eröffnet, die nicht fesselt, sondern entfaltet.

Ebenso lebt die alte Ordnung in Bildern, in jenen Bildern, die sie selbst über sich erschafft, die sie in Denkmäler gießt, in Werbung verkauft, in Ikonen erstarrt, und diese Bilder sind nichts anderes als Spiegel, die das Immergleiche zeigen, die die Herrschaft schönreden, die den Konsum vergolden, die den Krieg als Opfer verklären, und deshalb müssen diese Bilder zerstört werden, ihre Denkmäler gestürzt, ihre Plakate verbrannt, ihre Ikonen zerschlagen, damit die Augen frei werden für neue Bilder, für Bilder, die nicht lügen, sondern eröffnen, nicht wiederholen, sondern verwandeln, nicht bestätigen, sondern herausfordern.

Und weil die alte Ordnung in den Körpern sitzt, in den Gesten, in den Haltungen, im Gang, im Handschlag, im Lächeln, das gelernt ist, im Sitzen, das auf Gehorsam trainiert ist, im Arbeiten, das auf Wiederholung basiert, deshalb müssen auch die Körper befreit werden, sie müssen lernen, anders zu gehen, anders zu stehen, anders zu atmen, anders zu lieben, anders zu arbeiten, und diese Befreiung kann nicht sanft geschehen, sondern nur radikal, indem man alles verlernt, was die alte Ordnung in den Körper eingeschrieben hat, und indem man sich neu erfindet, als wäre man nie gezwungen worden, nie gezähmt, nie normiert.

So wird der Abriss zur totalen Forderung: Nicht nur Häuser und Institutionen, sondern Sprache, Bilder, Körper, Gewohnheiten, ja die Zeit selbst muss neu gebaut werden, denn die alte Ordnung hat auch die Zeit kolonisiert, hat sie in Stunden und Minuten zerlegt, hat sie in Arbeitszeit und Freizeit aufgeteilt, hat sie in Pläne und Kalender gepresst, und so lebt man heute in einer Zeit, die keine Zeit ist, sondern nur die Fortsetzung der Herrschaft im Takt der Uhr, und deshalb muss auch die Uhr zerbrochen werden, muss die Zeit neu erfunden werden, als offene, als unvorhersehbare, als schöpferische Zeit, in der nicht Takt und Pflicht, sondern Rhythmus und Gestalt bestimmen.

Man muss diesen Abriss deshalb wie eine Naturgewalt begreifen, die nicht fragt, ob sie recht hat, die nicht bittet, ob sie darf, die nicht verhandelt, ob sie gebraucht wird, sondern die kommt wie ein Sturm, der Dächer abreißt, wie ein Erdbeben, das Städte zerlegt, wie ein Feuer, das Wälder verbrennt, nicht aus Bosheit, sondern aus Notwendigkeit, nicht weil er zerstören will, sondern weil er Raum schaffen muss, und ebenso muss die Kunst als Diktatur wirken, wenn sie herrschen will, sie muss nicht fragen, ob es erlaubt ist, nicht bitten, ob es passt, nicht hoffen, ob es verstanden wird, sondern sie muss handeln, jetzt, alles, und ohne Rücksicht.

Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass dieser Abriss nicht verwechselt wird mit jener blinden Gewalt, die nur zerstört, um in der Leere neue Herrscher derselben Art hervorzubringen, dass er nicht verwechselt wird mit Revolutionen, die nur neue Namen, neue Symbole, neue Eliten schaffen, aber denselben Zwang, denselben Gehorsam, dieselbe Ordnung hinterlassen, sondern dass er als radikaler Unterschied begriffen wird, der nicht nur die Fassaden austauscht, sondern das Fundament sprengt, der nicht nur die Masken wechselt, sondern das Theater selbst in Flammen setzt, und dass er deshalb eine andere Qualität hat, weil er nicht auf neue Macht, sondern auf neue Kunst hinausläuft.

Denn der Abriss der alten Ordnung ist nicht Selbstzweck, er ist Vorbereitung, er ist der leere Raum, der entsteht, wenn das Alte verschwunden ist, und der nicht gefüllt wird von denselben Gesetzen, denselben Regeln, denselben Märkten, denselben Hierarchien, sondern von etwas, das diese Kategorien nicht mehr kennt, nicht mehr braucht, nicht mehr duldet, und deshalb muss der Abriss vollständig sein, weil jeder Rest, jeder Kompromiss, jede Brücke zurück ins Alte zur Gefahr wird, weil die alte Ordnung wie Unkraut ist, das aus dem kleinsten Rest wieder wächst, das aus dem kleinsten Samenkorn den ganzen Garten überwuchert, und deshalb gilt: kein Kompromiss, kein Rest, kein Zurück.

So steht am Ende die klare, unmissverständliche Parole, dass die Kunst nur herrschen kann, wenn die alte Ordnung vollständig fällt, dass es keinen Mittelweg gibt, keine Koexistenz, keine Halbheiten, dass die Forderung nur absolut sein kann, dass sie nur heißen kann: Reißt nieder, verbrennt, löscht aus, verlernt, zerstört, bis nichts bleibt, was nicht neu geschaffen ist, und dass nur auf diesem Boden, auf dieser Leere, auf diesem Staub die neue Welt der Kunst entstehen kann, die nicht Kompromiss ist, nicht Verwaltung, nicht Wiederholung, sondern Ausdruck, Gestalt, Form, die einzige Herrschaft, die nicht knechtet, sondern befreit.

Kapitel A3 – Der Aufbau der neuen Ordnung

Wenn die alte Ordnung in Staub gefallen ist, wenn ihre Institutionen verbrannt, ihre Märkte verlassen, ihre Parlamente verstummt, ihre Kirchen entleert, ihre Schulen in Trümmern liegen, wenn die Sprache gebrochen, die Bilder zerstört, die Körper befreit, die Zeit von den Uhren gelöst ist, dann erhebt sich aus diesem Staub, aus dieser Leere, aus dieser völligen Abwesenheit von allem, was bisher galt, die neue Ordnung der Kunst, nicht zögerlich, nicht schrittweise, nicht tastend, sondern eruptiv, zwingend, selbstverständlich, als wäre sie immer schon da gewesen und nur von den Mauern der alten Welt verborgen, und nun, da diese Mauern gefallen sind, wird sichtbar, dass die Kunst nicht nur ein Schmuck, nicht nur ein Spiel, nicht nur eine Verzierung des Lebens ist, sondern das Leben selbst, der Atem, der Rhythmus, das Gesetz, das keine Gesetze braucht, weil es in sich selbst Sinn, Form, Maß und Maßlosigkeit zugleich trägt.

Somit wird die Gesellschaft neu geordnet, nicht nach Besitz, nicht nach Herkunft, nicht nach Geschlecht, nicht nach Zahl, sondern allein nach Ausdruck, nach Intensität, nach Gestalt, und jeder Mensch wird nicht daran gemessen, was er besitzt, was er geerbt, was er akkumuliert hat, sondern daran, was er hervorbringt, was er erschafft, was er in die Welt setzt, und niemand fragt mehr nach Karriere, nach Titel, nach Kontostand, sondern nach der Kraft, mit der ein Mensch seine innere Gestalt ins Äußere trägt, nach der Fähigkeit, im Klang, im Bild, im Wort, in der Geste zu erscheinen, und so entsteht eine Ordnung, die nicht Unterordnung, sondern Hervorbringung ist, die nicht Gehorsam, sondern Intensität verlangt.

Die Stadt in der Diktatur der Kunst sieht nicht mehr aus wie die Städte der alten Welt, die in Zonen eingeteilt sind, in Wohnzonen, Arbeitszonen, Einkaufszonen, Erholungszonen, sondern sie ist ein einziges Feld der Gestaltung, sie ist Bühne, Atelier, Werkstatt, Labor, Galerie in einem, und jede Wand, jede Straße, jeder Platz ist nicht Mittel zum Zweck, sondern Zweck selbst, nicht Durchgang, sondern Ausdruck, nicht Hintergrund, sondern Vordergrund, und so lebt man in einer Stadt, die kein Verkehrssystem ist, sondern ein Gedicht, das nicht der Logik des Transports gehorcht, sondern der Logik des Erlebens, die nicht gebaut ist, um schneller anzukommen, sondern um tiefer zu verweilen, und so verwandelt sich das Wohnen in ein Teilnehmen, das Gehen in ein Tanzen, das Einkaufen in ein Spielen, das Arbeiten in ein Schaffen, und die ganze Stadt ist nichts anderes als ein atmendes Werk, das nicht abgeschlossen, sondern ewig im Werden ist.

Die Arbeit in der Diktatur der Kunst ist nicht mehr Arbeit im alten Sinn, sie ist nicht Pflicht, nicht Lohn, nicht Last, nicht Mühsal, sondern Spiel, Schöpfung, Experiment, und niemand geht mehr zur Arbeit, um zu überleben, sondern jeder lebt, indem er arbeitet, weil Arbeit nicht mehr das Gegenteil von Leben ist, sondern die Form des Lebens, und deshalb sind Werkstätten nicht Fabriken, sondern Bühnen, sind Äcker nicht Plantagen, sondern Landschaften, sind Werkzeuge nicht Mittel, sondern Instrumente, und jede Tätigkeit, ob sie Nahrung hervorbringt oder Häuser baut, ob sie heilt oder kleidet, ist nicht mehr Funktion, sondern Form, nicht mehr Mittel, sondern Gestalt, nicht mehr Zwang, sondern Ausdruck.

Wenn man eine Werkstatt dieser neuen Ordnung betritt, dann sieht man keine monotone Reihe von Menschen an Fließbändern, die Handgriffe wiederholen, die Maschinen bedienen, die Abläufe überwachen, sondern man sieht Menschen, die miteinander improvisieren wie Musiker in einem Ensemble, die aufeinander reagieren, die in ihrer Verschiedenheit nicht standardisieren, sondern steigern, und das Produkt dieser Arbeit ist nicht ein Gegenstand, der verkauft, sondern ein Ausdruck, der geteilt wird, und es ist nicht wichtig, ob er nützlich im alten Sinn ist, sondern ob er Gestalt hat, ob er eine Spur hinterlässt, ob er Intensität trägt, und darin liegt der Unterschied: dass Nutzen nicht verschwindet, aber nicht mehr das Maß ist, dass Maß nicht verschwindet, aber nicht mehr die Grenze ist, dass alles, was hervorgebracht wird, ein Werk ist, weil es Ausdruck trägt.

Die Gemeinschaft in der Diktatur der Kunst ist nicht mehr Familie, nicht mehr Nation, nicht mehr Klasse, nicht mehr Verein, sondern ein Netz von Resonanzen, von Stimmen, von Gesten, die sich begegnen, sich reiben, sich ergänzen, und niemand gehört einer Gemeinschaft, weil er geboren ist, weil er dieselbe Sprache spricht, weil er dasselbe Territorium bewohnt, sondern weil er dieselbe Intensität teilt, denselben Rhythmus, dieselbe Offenheit, und so entstehen Gemeinschaften, die nicht durch Blut, nicht durch Grenze, nicht durch Gesetz verbunden sind, sondern durch Schöpfung, durch das gemeinsame Erleben des Neuen, und so ist Gemeinschaft nicht Zwang, sondern Wahl, nicht Pflicht, sondern Resonanz.

Da Gemeinschaft Resonanz ist, sieht man in dieser neuen Ordnung keine geschlossenen Häuser, keine abgeschlossenen Clubs, keine exklusiven Zirkel, sondern offene Räume, durchlässige Strukturen, Orte, die immer offen sind für den, der etwas bringt, für den, der eine Geste setzt, für den, der eine Spur legt, und ausgeschlossen ist nicht der Fremde, sondern der Tote, nicht der Andere, sondern der Gleiche, nicht der Unbekannte, sondern der, der nichts bringt, der nichts setzt, der nichts wagt, und deshalb wird Gemeinschaft hier nicht homogen, sondern heterogen, nicht identisch, sondern verschieden, nicht statisch, sondern vibrierend, und sie lebt nicht von Einheit, sondern von Vielstimmigkeit.

Die Körper in der Diktatur der Kunst sind nicht mehr gezähmt, nicht mehr normiert, nicht mehr dressiert, sondern frei, überbordend, maßlos, schön nicht im Sinn des Ideals, sondern im Sinn der Intensität, und so wird Schönheit nicht mehr gemessen an Proportionen, nicht mehr diktiert von Mode, nicht mehr normiert von Industrie, sondern sie ist, was aus der Fülle des Körpers hervorgeht, was sich zeigt, wenn der Körper nicht mehr gehorcht, sondern spielt, wenn er nicht mehr marschiert, sondern tanzt, wenn er nicht mehr funktioniert, sondern improvisiert, und so wird der Körper selbst zur Bühne, zur Skulptur, zum Gedicht.

Wenn man durch die Straßen dieser neuen Ordnung geht, dann sieht man Körper, die nicht uniformiert, sondern entfesselt sind, Körper, die nicht dieselben Bewegungen wiederholen, sondern eigene Rhythmen erfinden, Körper, die nicht kontrolliert, sondern entfaltet sind, und deshalb ist jede Straße eine Parade, jeder Platz ein Tanz, jedes Gespräch ein Schauspiel, jede Begegnung ein Fest, und der Körper ist nicht mehr Gefängnis der Seele, sondern ihr Flug, nicht mehr Werkzeug der Arbeit, sondern ihr Spiel, nicht mehr Träger von Normen, sondern Träger von Gestalten.

Und schließlich ist die Zeit in der Diktatur der Kunst nicht mehr Takt, nicht mehr Stunde, nicht mehr Termin, nicht mehr Kalender, sondern Rhythmus, Dauer, Ekstase, und so lebt man nicht mehr nach Uhren, sondern nach Gestalten, man misst nicht mehr in Minuten, sondern in Intensitäten, nicht mehr in Fristen, sondern in Ereignissen, und ein Tag ist nicht 24 Stunden, sondern so lange, wie er trägt, wie er formt, wie er erfüllt, und eine Nacht ist nicht Pause, sondern Transformation, und das Leben selbst ist nicht Kette von Pflichten, sondern Abfolge von Schöpfungen, und deshalb wird das Alter nicht mehr gezählt in Jahren, sondern in Werken, nicht mehr gemessen in Zahl, sondern in Gestalt.

Das Recht in der Diktatur der Kunst ist nicht mehr Kodex, nicht mehr Paragraph, nicht mehr Strafe, nicht mehr Gericht, sondern Geste, Resonanz, Wiederherstellung von Form, und wenn ein Mensch dem anderen Schaden zufügt, dann wird dies nicht gemessen an Zahl, nicht berechnet in Geld, nicht bestraft in Jahren, sondern in Gestalt verwandelt, in Ausdruck, in Wiederholung, in Transformation, und so ist Recht nicht mehr Abrechnung, sondern Bearbeitung, nicht mehr Schuldspruch, sondern Gestaltfindung, und es geht nicht darum, den Täter zu strafen, sondern darum, den Bruch zu verwandeln, den Riss zu füllen, die Dissonanz in eine andere Form zu bringen, die nicht Schuld, sondern Ausdruck trägt.

Die Medizin in der Diktatur der Kunst ist nicht mehr Reparatur, nicht mehr Diagnose, nicht mehr Behandlung, sondern Gestaltung, nicht mehr Maschine, nicht mehr Funktion, sondern Geste, und wenn ein Körper krank ist, dann wird er nicht mehr wie ein defektes Gerät repariert, sondern wie ein verletztes Instrument neu gestimmt, nicht nach der Norm, sondern nach seiner eigenen Resonanz, nicht nach dem Durchschnitt, sondern nach seiner eigenen Gestalt, und so ist Heilung nicht Rückkehr zum Alten, sondern Erfindung des Neuen, nicht Wiederherstellung der Funktion, sondern Transformation in eine andere Form, die trägt.

Die Technik in der Diktatur der Kunst ist nicht mehr Herrschaft über die Natur, nicht mehr Werkzeug zur Kontrolle, nicht mehr Maschine der Berechnung, sondern Erweiterung des Ausdrucks, und jede Maschine ist ein Instrument, das den Körper verlängert, jede Apparatur ist ein Instrument, das die Geste verstärkt, und Technik ist nicht mehr das Fremde, das von außen kommt, sondern das Eigene, das sich von innen entfaltet, und deshalb ist jede technische Entwicklung nicht Berechnung, sondern Gestaltung, nicht Zwang, sondern Erweiterung, nicht Kontrolle, sondern Spiel.

So ist die Diktatur der Kunst nicht bloß Negation, nicht bloß Zerstörung, nicht bloß Abriss, sondern Aufbau, Schöpfung, Entfaltung, und sie zeigt, dass eine Gesellschaft möglich ist, in der nicht Zwang, sondern Ausdruck herrscht, nicht Geld, sondern Gestalt, nicht Macht, sondern Intensität, und sie zeigt, dass der Mensch nicht geboren ist, um zu gehorchen, sondern um zu schaffen, nicht, um zu dienen, sondern um zu gestalten, nicht, um zu funktionieren, sondern um zu spielen, und dass nur eine Gesellschaft, die dies anerkennt, wahrhaft menschlich ist.

Wenn man fragt, wie diese neue Ordnung gesichert werden kann, wie sie bestehen kann, wie sie nicht zurückfällt in die alte Welt, dann ist die Antwort klar: sie kann nicht gesichert werden, sie darf nicht gesichert werden, sie muss Bewegung bleiben, sie muss Unterbrechung bleiben, sie muss immer neu entstehen, jeden Tag, jede Stunde, jede Geste, und deshalb gibt es in der Diktatur der Kunst keine Verfassung, keine Institution, keine Polizei, keine Armee, sondern nur das Gesetz des Ausdrucks, das nicht fixiert ist, sondern lebt, das nicht kodifiziert ist, sondern singt, das nicht zwingt, sondern öffnet, und so bleibt die Gesellschaft der Kunst nie still, nie abgeschlossen, nie vollendet, sondern immer offen, immer neu, immer werdend.

So endet es nicht mit einer Sicherung, nicht mit einer Garantie, nicht mit einem Programm, sondern mit der radikalen Forderung, dass die Kunst herrscht, indem sie nie aufhört zu herrschen, dass sie herrscht, indem sie nie zur Ordnung erstarrt, dass sie herrscht, indem sie jede Ordnung wieder zerreißt, dass sie herrscht, indem sie Bewegung bleibt, und dass deshalb die Diktatur der Kunst die einzige Herrschaft ist, die kein Ende kennt, weil sie in jedem Anfang neu beginnt.

Kapitel A4 – Die Totalität der Kunst

Wenn die Kunst herrscht, dann herrscht sie nicht in einem Bereich, nicht in einer Nische, nicht in einem abgegrenzten Raum, sondern in allem, in jedem Atemzug, in jeder Geste, in jeder Struktur, und das bedeutet, dass es keinen Ort mehr gibt, an dem sie nicht wirkt, keinen Bereich mehr, in dem sie nicht das erste und das letzte Wort hat, keine Ausnahme, kein Refugium, kein Hinterland, denn die Kunst duldet keine Teilung, keine Aufteilung, keine Segmentierung, und deshalb muss man klar sagen: die Diktatur der Kunst ist nicht ein Spielraum unter anderen, sondern die Totalität, die das Ganze erfasst, und wenn sie nicht alles erfasst, dann ist sie nichts.

So darf man nicht glauben, dass Politik, so wie man sie kannte, als Verwaltung von Macht und Kompromiss, als Parlament, als Regierung, als Ministerium, bestehen bleiben könnte, während die Kunst herrscht, nein, sie muss aufgelöst werden in Ausdruck, in Geste, in Gestaltung, und Entscheidungen, die früher in Gesetzen und Paragraphen standen, werden nun in Bildern, in Klängen, in Szenen getroffen, und sie gelten nicht, weil sie beschlossen wurden, sondern weil sie sich als wahr, als intensiv, als unübersehbar erweisen, und so ersetzt die Kunst die Politik nicht, indem sie Politiker zu Künstlern macht, sondern indem sie die Politik selbst überflüssig macht, weil Ausdruck stärker ist als Beschluss, weil Gestalt mächtiger ist als Gesetz.

Ebenso darf man nicht glauben, dass Wirtschaft, so wie man sie kannte, als Markt, als Profit, als Tausch, bestehen könnte, während die Kunst herrscht, nein, sie wird aufgelöst in Schöpfung, und es gibt keinen Kauf mehr, keinen Verkauf, kein Geld, keinen Lohn, keine Preise, sondern nur Werke, die geteilt werden, Gestalten, die hervorgebracht werden, und der Wert eines Werkes liegt nicht in seiner Seltenheit, nicht in seiner Nachfrage, nicht in seiner Knappheit, sondern in seiner Intensität, und so gibt es keine Preise mehr, sondern nur Anerkennung, keine Märkte mehr, sondern nur Resonanz, keine Ökonomie mehr, sondern nur Kunst, und das heißt: die Kunst ist die Totalität, die an die Stelle der Ökonomie tritt, und sie nimmt ihr alles, was sie war.

Wenn man fragt, wie Religion in der Diktatur der Kunst aussieht, dann muss man sagen: sie ist nicht mehr Religion im alten Sinn, sie ist nicht mehr Dogma, nicht mehr Gehorsam, nicht mehr Heil, sondern Offenbarung der Gestalt, Ekstase der Form, Rausch der Intensität, und ihre Rituale sind nicht Gehorsam, sondern Inszenierung, ihre Tempel sind nicht Mauern, sondern Bühnen, ihre Liturgien sind nicht Wiederholung, sondern Variation, und so ist die Kunst nicht Ersatzreligion, sondern sie ist das, was Religion immer vorgab zu sein, aber nie war: der Ort, an dem der Mensch sich erhebt über sich selbst, indem er sich erschafft, indem er seine Gestalt hervorbringt, indem er sein Leben in Form verwandelt.

Die Kunst herrscht aber nicht nur in Politik, Wirtschaft, Religion, sondern auch in Wissenschaft, und das heißt: Erkenntnis ist nicht mehr Messung, nicht mehr Berechnung, nicht mehr Statistik, sondern Gestaltung, nicht mehr Objektivität, sondern Intensität, nicht mehr Zahl, sondern Gestalt, und so wird Wissen nicht gesammelt wie Daten, sondern geschaffen wie Werke, nicht gespeichert wie Archive, sondern geteilt wie Lieder, nicht geordnet wie Tabellen, sondern entfaltet wie Bilder, und so ist auch Wissenschaft nicht mehr Distanz, sondern Nähe, nicht mehr Abstraktion, sondern Verkörperung, nicht mehr Reduktion, sondern Erweiterung, und sie zeigt, dass jede Wahrheit eine Form ist, dass jede Erkenntnis eine Geste ist, dass jedes Wissen ein Werk ist.

Auch in der Technik herrscht die Kunst, und das bedeutet, dass Technik nicht mehr Beherrschung ist, nicht mehr Kontrolle, nicht mehr Macht über die Natur, sondern Erweiterung der Gestalt, Verlängerung der Geste, Verstärkung des Ausdrucks, und so ist jede Maschine ein Instrument, jeder Apparat ein Werkzeug der Intensität, und Technik dient nicht mehr der Beschleunigung, nicht mehr der Effizienz, nicht mehr der Ausbeutung, sondern der Form, der Resonanz, der Schöpfung, und so ist Technik nicht mehr das Fremde, das den Menschen entmündigt, sondern das Eigene, das den Menschen erweitert, nicht mehr das Kalte, das den Körper ersetzt, sondern das Glühende, das den Körper verstärkt.

Wenn man tiefer blickt, dann sieht man, dass die Totalität der Kunst nicht nur Institutionen betrifft, nicht nur Systeme, nicht nur Strukturen, sondern auch den Alltag, das Leben, die kleinsten Gesten, die trivialsten Handlungen, und so gibt es kein Essen mehr, das nur Ernährung ist, sondern jedes Essen ist Inszenierung, jedes Gericht ein Werk, jedes Mahl ein Fest, und so gibt es keine Kleidung mehr, die nur schützt, sondern jedes Kleid ist eine Gestalt, jedes Gewebe ein Bild, jede Naht ein Ausdruck, und so gibt es keinen Schlaf mehr, der nur Erholung ist, sondern jeder Schlaf ist Traumspiel, jede Nacht ein Theater, jede Pause ein Werk, und so ist alles Kunst, weil alles Gestalt trägt, und es gibt kein Außen mehr, kein Alltägliches, kein Profanes, sondern nur das eine: Kunst.

Die Totalität der Kunst bedeutet auch, dass Sprache nicht mehr Mittel der Kommunikation ist, nicht mehr bloßes Werkzeug, um Information zu übertragen, sondern selbst Gestalt, selbst Werk, selbst Form, und jedes Wort ist ein Bild, jeder Satz ein Klang, jeder Dialog ein Schauspiel, und so wird Sprache nicht mehr reduziert auf Nützlichkeit, nicht mehr gezwungen zur Klarheit, nicht mehr beschnitten zur Eindeutigkeit, sondern sie ist Überfluss, sie ist Vieldeutigkeit, sie ist Poesie, und so gibt es kein neutrales Wort mehr, kein kaltes Wort, kein bloßes Zeichen, sondern alles, was gesagt wird, ist zugleich ein Werk.

Und auch die Körper, die einst gezwungen waren, Normen zu gehorchen, Proportionen zu erfüllen, Funktionen zu leisten, sind nun frei, und diese Freiheit bedeutet nicht Beliebigkeit, sondern Intensität, und so gibt es keine Hässlichkeit mehr im alten Sinn, keine Abweichung, keine Scham, sondern nur Gestalt, und jeder Körper ist schön, nicht weil er einer Norm entspricht, sondern weil er Ausdruck trägt, weil er lebt, weil er sich verwandelt, und so ist die Totalität der Kunst nicht Zwang zur Schönheit, sondern Befreiung der Schönheit, nicht Uniformität, sondern Vielfalt, nicht Ideal, sondern Gestalt.

So muss man verstehen, dass die Totalität der Kunst keine Grenze kennt, dass sie nicht sagt: Hier hört sie auf, hier gilt sie nicht, hier darf sie nicht hinein, sondern dass sie sagt: Alles ist mein, alles ist Form, alles ist Werk, und so ist sie die einzige Totalität, die nicht zerstört, indem sie alles umfasst, sondern die befreit, indem sie alles umfasst, die einzige Totalität, die nicht tötet, indem sie alles einverleibt, sondern die Leben hervorbringt, indem sie alles verwandelt.

Deshalb gilt: Solange es einen Bereich gibt, in dem die Kunst nicht herrscht, ist die Kunst nicht Herrin, solange es einen Ort gibt, an dem sie nicht wirkt, ist sie schwach, solange es eine Ausnahme gibt, ist sie verraten, und deshalb muss sie alles erfassen, Politik, Wirtschaft, Religion, Wissenschaft, Technik, Alltag, Körper, Sprache, Zeit, damit sie wahrhaft herrscht, und solange sie dies nicht tut, ist sie nur Dekor, nur Nebensache, nur Spiel, und das darf sie nie mehr sein.

Wenn man sich nun die Gesellschaft in dieser totalen Durchdringung vorstellt, wenn man sie nicht abstrakt denkt, sondern konkret, dann sieht man Menschen, die morgens nicht mehr aufstehen, weil die Uhr es befiehlt, weil der Wecker schrillt, weil die Pflicht ruft, sondern die aufstehen, weil die Geste geboren werden will, weil das Werk sie hinauszieht, weil der Tag selbst als Bühne wartet, und das bedeutet, dass der Morgen nicht Routine ist, nicht Kaffee, nicht Zeitung, nicht Pendeln, sondern Beginn eines Werkes, Beginn eines Spiels, Beginn einer Form, und so ist jeder Tag einzigartig, weil jeder Tag Werk ist, und es gibt keine Wiederholung, weil die Kunst keine Wiederholung kennt.

Wenn man die Kinder in dieser Ordnung sieht, dann sieht man nicht Schüler, die auf Stühlen sitzen, die schreiben, was diktiert wird, die lernen, was geprüft wird, sondern man sieht Gestalter, die von Anfang an ermutigt werden, nicht zu reproduzieren, sondern zu erschaffen, nicht zu folgen, sondern zu führen, nicht zu imitieren, sondern zu gestalten, und deshalb gibt es keine Prüfungen, keine Zeugnisse, keine Versetzungen, sondern nur Werke, nur Gestalten, nur Aufführungen, und ein Kind gilt nicht als gebildet, weil es Fakten kennt, sondern weil es Intensitäten setzt, und es gibt keinen Durchschnitt, kein Mittelmaß, keine Norm, sondern nur Vielfalt, nur Verschiedenheit, nur Überfluss.

Wenn man die Alten in dieser Ordnung sieht, dann sieht man nicht Menschen, die abgeschoben sind in Heime, die verwahrt werden, bis sie sterben, sondern man sieht Archive der Gestalten, Stimmen, die Resonanz tragen, Körper, die Spuren zeigen, und sie sind nicht abseits, nicht am Rand, sondern im Zentrum, weil jedes Werk, das sie hervorgebracht haben, weiterlebt, weil jede Geste, die sie gesetzt haben, weiterwirkt, und so ist Alter nicht Abbau, sondern Verdichtung, nicht Schwäche, sondern Kraft, nicht Ende, sondern Fülle, und das Alter hat nicht den Wert des Mangels, sondern den Wert der Dichte, und deshalb ist der Alte nicht Last, sondern Quelle.

So wird sichtbar, dass die Totalität der Kunst nicht nur Strukturen verwandelt, sondern das Leben selbst, dass sie jede Station, jede Rolle, jede Phase verwandelt in Gestalt, dass sie das Kind befreit aus dem Zwang der Schule, dass sie den Erwachsenen befreit aus dem Zwang der Arbeit, dass sie den Alten befreit aus dem Zwang der Nutzlosigkeit, und dass sie so das Leben selbst als Werk setzt, das nicht mehr Abfolge von Zwängen, sondern Abfolge von Gestalten ist.

Aber damit diese Totalität nicht zurückfällt in Dekor, damit sie nicht schwach wird, damit sie nicht Spielerei bleibt, muss sie absolut sein, sie muss sich durchsetzen gegen jede Nostalgie, gegen jede Sehnsucht nach Nützlichkeit, gegen jede Versuchung, zurückzukehren zur alten Ordnung, und deshalb gilt: kein Kompromiss, keine Ausnahme, kein Zurück, und das bedeutet, dass man nicht sagen darf: hier ist Arbeit, dort ist Kunst, dass man nicht sagen darf: hier ist Wissenschaft, dort ist Kunst, dass man nicht sagen darf: hier ist Alltag, dort ist Kunst, sondern dass man sagen muss: alles ist Kunst, und wer etwas anderes behauptet, der verrät die Diktatur der Kunst, der schwächt sie, der zerstört sie, und deshalb muss er überwunden werden.

Denn die Totalität der Kunst ist nicht weich, sie ist nicht tolerant im alten Sinn, sie ist nicht Vielfalt im schwachen Sinn, sondern sie ist Vielfalt in der Stärke, und das bedeutet, dass sie keine Ausnahme duldet, dass sie keine Flucht erlaubt, dass sie keine Nische zulässt, in der man sagen könnte: hier gilt der alte Maßstab, hier gilt der alte Wert, hier gilt die alte Norm, sondern dass sie alles umfasst, weil sie sonst nichts ist, und deshalb muss jeder Versuch, ein Außen zu retten, niedergeschlagen werden, jede Sehnsucht nach Sicherheit entlarvt werden, jede Flucht in die Vergangenheit verhindert werden, und so ist die Totalität der Kunst absolut, weil nur das Absolute die Kunst bewahren kann.

Wenn man fragt, ob das nicht Unterdrückung sei, ob das nicht Zwang sei, ob das nicht Gewalt sei, dann muss man antworten: Ja, es ist Zwang, ja, es ist Gewalt, ja, es ist Unterdrückung, aber nicht gegen die Menschen, sondern gegen die alte Ordnung, nicht gegen das Leben, sondern gegen den Tod, nicht gegen die Schöpfung, sondern gegen die Wiederholung, und so ist dieser Zwang die einzige Freiheit, diese Gewalt die einzige Befreiung, diese Unterdrückung die einzige Entfaltung, weil sie nicht den Menschen unterdrückt, sondern das in ihm, was ihn klein macht, was ihn bindet, was ihn verhindert, und sie befreit das in ihm, was ihn groß macht, was ihn entfaltet, was ihn verwandelt.

So ist die Totalität der Kunst das, was alle alten Totalitäten nie waren: Sie ist nicht Gefängnis, sondern Öffnung, sie ist nicht Tod, sondern Leben, sie ist nicht Uniformität, sondern Überfluss, sie ist nicht Zwang zur Identität, sondern Freiheit zur Gestalt, und deshalb muss man sich nicht fürchten vor ihr, sondern vor ihrer Abwesenheit, nicht vor ihrer Gewalt, sondern vor ihrer Schwäche, nicht vor ihrem Absolutismus, sondern vor ihrem Verrat, denn nichts ist gefährlicher als eine Kunst, die schwach bleibt, die nur Dekor ist, die nur Freizeit ist, die nur Nebensache ist, weil sie dann alles verrät, wofür sie steht.

So kommt man am Ende zu der klaren, unmissverständlichen Parole, dass die Kunst nur dann herrscht, wenn sie alles beherrscht, dass sie nur dann frei ist, wenn sie absolut ist, dass sie nur dann lebt, wenn sie alles verwandelt, und dass es deshalb keine Ausnahme, keinen Rückzug, keine Nische gibt, dass die Totalität der Kunst nicht ein Wunsch, nicht eine Möglichkeit, nicht eine Option ist, sondern eine Notwendigkeit, die sich erfüllt, wenn man ihr nicht im Weg steht, und die alles zerstört, was ihr widersteht, weil sie alles verwandelt, was sie berührt, und weil sie deshalb das Einzige ist, was herrschen darf.

Kapitel A5 – Der Mensch in der Diktatur der Kunst

Der Mensch, wie er in der alten Ordnung existierte, war nicht er selbst, sondern eine verzerrte Gestalt, geformt durch Gesetze, durch Märkte, durch Religionen, durch Erwartungen, durch den Zwang, sich einzufügen, zu gehorchen, zu funktionieren, und wenn er lachte, dann lachte er selten aus Überfluss, sondern weil er es musste, weil die Konvention es befahl, und wenn er arbeitete, dann arbeitete er nicht, weil er hervorbringen wollte, sondern weil er überleben musste, und wenn er liebte, dann liebte er nicht frei, sondern unter dem Schatten von Besitz, Eifersucht, Norm, und so war der Mensch in der alten Ordnung ein halbes Wesen, ein Schatten, ein Funktionär, ein Rädchen in einer Maschine, die größer war als er, die ihn fraß, die ihn verbrauchte, und die am Ende nur von ihm übrigließ, was sie brauchte, um weiterzudrehen.

Doch in der Diktatur der Kunst erhebt sich der Mensch aus diesem Schatten, er tritt heraus aus dem Gefängnis der Funktion, er streift ab, was ihn klein hielt, und er wird, was er immer war und immer sein sollte: Schöpfer, Gestalter, Spieler, und dies nicht als Ausnahme, nicht als Künstler im alten Sinn, der als Sonderling betrachtet wurde, als Ausgestoßener, als Exot, sondern als allgemeine Bestimmung, als allgemeine Wahrheit, als allgemeine Form, und deshalb gilt: jeder Mensch ist Künstler, nicht weil er ein Talent hat, nicht weil er eine Ausbildung hat, nicht weil er anerkannt wird, sondern weil er lebt, und weil Leben nichts anderes ist als Kunst, und weil alles andere, alles Funktionieren, alles Gehorchen, alles Überleben Verrat an diesem Leben ist.

So wird der Mensch in der Diktatur der Kunst nicht mehr definiert durch Besitz, nicht mehr durch Titel, nicht mehr durch Herkunft, nicht mehr durch Geschlecht, nicht mehr durch Zahl, sondern allein durch Ausdruck, und die Frage, die an ihn gestellt wird, ist nicht: Was hast du?, nicht: Was bist du im Vergleich zu anderen?, nicht: Was nützt du?, sondern allein: was bringst du hervor?, was setzt du in die Welt?, was ist deine Gestalt?, und diese Frage ist keine Prüfung, kein Zwang, kein Urteil, sondern ein Ruf, ein Wecken, ein Anstoßen, das jedem Menschen zeigt: Du bist mehr, als du dachtest, du bist größer, als man dir sagte, du bist schöpferisch, weil du lebst.

Wenn man den Alltag dieses neuen Menschen betrachtet, dann sieht man, dass er morgens nicht aus dem Bett steigt, um in eine Fabrik zu gehen, um eine Pflicht zu erfüllen, um eine Norm zu erfüllen, sondern dass er aufsteht, weil er etwas hervorbringen will, und dass der Tag nicht in Stunden zerfällt, sondern in Werke, dass die Arbeit nicht Lohn ist, sondern Spiel, dass die Begegnung nicht Funktion ist, sondern Resonanz, und so sieht man, dass dieser Mensch nicht mehr müde ist vom Leben, sondern wach, nicht mehr erschöpft von Pflichten, sondern voller Überfluss, nicht mehr getrieben von Angst, sondern getragen von Gestalt.

Der neue Mensch ist nicht mehr getrennt in privat und öffentlich, in Arbeit und Freizeit, in Ernst und Spiel, in Pflicht und Vergnügen, sondern er ist immer derselbe, immer ganz, immer Gestalt, und was er tut, ist nicht Maske, ist nicht Rolle, ist nicht Anpassung, sondern Ausdruck, und so gibt es keine Trennung mehr zwischen Theater und Leben, zwischen Bühne und Straße, zwischen Spiel und Ernst, sondern alles ist Bühne, alles ist Leben, alles ist Werk.

Auch die Liebe ist in der Diktatur der Kunst nicht mehr Besitz, nicht mehr Vertrag, nicht mehr Institution, sondern Spiel, Rausch, Intensität, und sie ist frei von den Ketten der alten Ordnung, die sie an Ehe, an Treue, an Pflicht band, und sie ist frei, weil sie Gestalt ist, weil sie Ausdruck ist, weil sie mehr will als Dauer, weil sie nicht wiederholt, sondern immer neu entsteht, und so ist Liebe nicht weniger, sondern mehr, nicht schwächer, sondern stärker, weil sie nicht Routine ist, sondern Offenbarung, nicht Pflicht, sondern Geschenk, nicht Institution, sondern Geste.

Der Körper des neuen Menschen ist nicht mehr Objekt der Norm, nicht mehr Objekt des Urteils, nicht mehr Objekt der Mode, sondern Subjekt des Ausdrucks, und so ist er nicht gezwungen, zu passen, zu entsprechen, zu gehorchen, sondern frei, sich zu entfalten, zu spielen, zu tanzen, zu improvisieren, und jeder Körper ist schön, weil er lebt, weil er trägt, weil er sich verwandelt, und so gibt es keine Hässlichkeit mehr außer der Hässlichkeit des Gehorsams, keine Scham mehr außer der Scham, nicht gelebt zu haben, keine Norm mehr außer der Norm, dass es keine Norm gibt.

Da der Mensch in der Diktatur der Kunst frei ist, frei zu schaffen, frei zu gestalten, frei zu spielen, bedeutet das nicht Beliebigkeit, bedeutet das nicht Chaos, bedeutet das nicht Willkür, sondern bedeutet Intensität, bedeutet Gestalt, bedeutet Überfluss, und so ist der Mensch nicht mehr gleichgültig, nicht mehr gelangweilt, nicht mehr müde, sondern voller Energie, voller Drang, voller Lust, und so lebt er nicht, um zu überleben, sondern um zu überfluten, nicht, um zu existieren, sondern um zu erschaffen.

So ist der Mensch in der Diktatur der Kunst nicht ein Untertan, nicht ein Bürger, nicht ein Konsument, nicht ein Gläubiger, nicht ein Patient, nicht ein Arbeiter, sondern ein Schöpfer, und das bedeutet: Er ist nicht mehr Objekt der Macht, sondern Subjekt der Gestaltung, nicht mehr Opfer des Systems, sondern Ursprung der Form, nicht mehr Teil eines Apparates, sondern ein Ganzes, und das bedeutet, dass er nicht mehr gezwungen wird, zu funktionieren, sondern befreit ist, zu gestalten.

Wenn man ihn fragt, was er ist, dann sagt er nicht mehr: Ich bin Angestellter, ich bin Vater, ich bin Mutter, ich bin Student, ich bin Bürger, ich bin Wähler, ich bin Gläubiger, sondern er sagt: Ich bin Gestalt, ich bin Werk, ich bin Schöpfung, und das genügt, weil das alles ist, weil es kein Mehr braucht, weil es kein Weniger gibt, und deshalb ist der Mensch in der Diktatur der Kunst zum ersten Mal ganz Mensch, weil er zum ersten Mal ganz Kunst ist.

Wenn man sich nun vorstellt, wie dieser neue Mensch lebt, wie er handelt, wie er denkt, dann sieht man, dass er nicht mehr getrennt ist in Kopf und Körper, in Vernunft und Gefühl, in Arbeit und Spiel, sondern dass er immer ganz ist, dass er immer in Gestalt ist, dass er immer Ausdruck ist, und so ist sein Denken nicht abstrakt, nicht kühl, nicht distanziert, sondern heiß, nah, verkörpert, und seine Gefühle sind nicht privat, nicht verborgen, nicht Scham, sondern öffentlich, geteilt, intensiv, und sein Körper ist nicht Werkzeug, nicht Maschine, nicht Objekt, sondern Subjekt, und so ist er nicht mehr zerrissen, nicht mehr gespalten, nicht mehr halb, sondern ganz, und dies ist der erste Mensch, der ganz ist.

Dieser neue Mensch lebt nicht mehr in Angst, nicht mehr in Mangel, nicht mehr in Konkurrenz, weil er weiß, dass sein Wert nicht von anderen bestimmt wird, nicht von Besitz, nicht von Titel, nicht von Zahl, sondern von Gestalt, und Gestalt ist unendlich, Gestalt ist Überfluss, Gestalt ist Vielfalt, und deshalb ist jeder Mensch unersetzlich, jeder Mensch notwendig, jeder Mensch einzigartig, und es gibt keine Konkurrenz, weil jeder Werk ist, und Werke sind nicht vergleichbar, nicht austauschbar, nicht reduzierbar, und deshalb gibt es keinen Kampf um Anerkennung, keinen Kampf um Existenz, keinen Kampf um Wert, sondern nur Resonanz, nur Vielfalt, nur Überfluss.

So lebt der Mensch in der Diktatur der Kunst nicht mehr in Hierarchie, nicht mehr in Rang, nicht mehr in Macht, weil es keine Macht gibt, außer der Macht des Ausdrucks, und diese Macht unterdrückt nicht, sondern entfaltet, sie zwingt nicht, sondern weckt, sie zerstört nicht, sondern erschafft, und deshalb ist der Mensch nicht Untertan, sondern Herr, nicht Objekt, sondern Subjekt, nicht Opfer, sondern Ursprung, und er ist frei, nicht weil er tun kann, was er will, sondern weil er will, was er tut, weil sein Wille nicht mehr entfremdet ist, nicht mehr fremd bestimmt, nicht mehr von außen gelenkt, sondern von innen hervorgebracht, von seiner eigenen Gestalt getragen, von seiner eigenen Intensität bewegt.

Doch diese Freiheit ist nicht leicht, sie ist nicht bequem, sie ist nicht ohne Risiko, denn sie verlangt, dass der Mensch ständig hervorbringt, ständig gestaltet, ständig sich verwandelt, und das bedeutet: Er darf nicht zurückfallen in Routine, nicht zurückfallen in Gehorsam, nicht zurückfallen in Sicherheit, und deshalb ist diese Freiheit eine Zumutung, eine Herausforderung, ein Rausch, und sie überfordert, sie verlangt, sie brennt, aber sie ist die einzige Freiheit, die es wert ist, weil sie nicht Sicherheit gibt, sondern Intensität, nicht Ruhe, sondern Ekstase, nicht Dauer, sondern Fülle.

So ist der Mensch in der Diktatur der Kunst nicht bequem, nicht gesichert, nicht berechenbar, sondern gefährlich, unberechenbar, überfließend, und dies ist gut, weil nur so das Leben selbst lebendig bleibt, weil nur so das Leben nicht erstarrt, nicht tot wird, nicht wieder zurückfällt in die alte Ordnung, und deshalb ist dieser Mensch kein Bürger, der Ruhe will, kein Untertan, der Sicherheit will, kein Konsument, der Bequemlichkeit will, sondern ein Schöpfer, der Intensität will, ein Spieler, der Gestalt will, ein Mensch, der Kunst will.

Wenn man ihn auf der Straße sieht, dann erkennt man ihn daran, dass er nicht hastet, nicht hetzt, nicht eilt, weil er nicht zur Arbeit muss, nicht zum Termin, nicht zur Pflicht, sondern dass er geht wie auf einer Bühne, dass er steht wie in einer Skulptur, dass er spricht wie in einem Gedicht, dass er liebt wie in einem Lied, dass er lebt wie in einem Werk, und deshalb ist jeder Mensch sichtbar, nicht weil er auffällt, sondern weil er Ausdruck trägt, nicht weil er anders sein will, sondern weil er anders ist, weil er Gestalt ist, und so ist jede Straße voll von Werken, jeder Platz voll von Gestalten, jeder Tag voll von Leben.

Wenn man ihn fragt, was er fürchtet, dann sagt er nicht mehr: Ich fürchte Armut, ich fürchte Krankheit, ich fürchte Einsamkeit, sondern er sagt: ich fürchte nur, nicht geschaffen zu haben, nicht gelebt zu haben, nicht Ausdruck gewesen zu sein, und dies ist die einzige Furcht, die bleibt, die einzige Angst, die Sinn hat, weil sie nicht lähmt, sondern antreibt, weil sie nicht klein macht, sondern groß, weil sie nicht schwächt, sondern stärkt, und deshalb ist diese Angst nicht Gift, sondern Feuer.

So zeigt sich, dass der Mensch in der Diktatur der Kunst nicht weniger, sondern mehr ist, nicht beschränkt, sondern entfesselt, nicht gezähmt, sondern entfaltet, und dass er deshalb nicht Opfer der Totalität ist, sondern ihre Quelle, nicht Sklave der Kunst, sondern ihre Verkörperung, nicht Knecht des Ausdrucks, sondern sein Ursprung, und deshalb ist er zum ersten Mal Mensch, weil er zum ersten Mal nicht weniger ist, als er sein kann, und nicht mehr, als er sein muss, sondern ganz er selbst, und ganz er selbst heißt: ganz Kunst.

So schließt sich der Kreis mit der Parole, dass der Mensch in der Diktatur der Kunst nicht befreit wird, um bequem zu sein, nicht befreit wird, um sicher zu sein, nicht befreit wird, um glücklich zu sein, sondern befreit wird, um zu schaffen, befreit wird, um zu gestalten, befreit wird, um zu spielen, und dass dies die einzige Bestimmung ist, die er hat, die einzige, die er braucht, die einzige, die ihn erfüllt, und dass er deshalb nichts anderes sein darf als das, was er ist: Schöpfer, Gestalt, Werk, Kunst.

Kapitel A6 – Das Unendliche der Kunst

Wenn alle alten Ordnungen gefallen sind, wenn alle Institutionen verbrannt, wenn alle Märkte verlassen, wenn alle Gesetze verstummt, wenn alle Religionen entleert, wenn alle Wissenschaften verwandelt, wenn alle Körper befreit, wenn alle Sprachen in Poesie aufgelöst sind, dann erhebt sich aus dieser Leere nicht ein Ende, nicht ein Ziel, nicht ein Fixpunkt, sondern eine Bewegung ohne Ende, eine Welle ohne Stillstand, ein Strom ohne Quelle und ohne Mündung, und dieser Strom ist die Kunst selbst, die in ihrer Diktatur niemals starr wird, niemals still wird, niemals abgeschlossen wird, weil sie das Einzige ist, das nicht endet, das Einzige, das sich nicht sichern lässt, das Einzige, das sich selbst ständig zerstört, um sich selbst ständig neu hervorzubringen.

Denn die Gefahr aller Herrschaften war immer, dass sie ein Ziel setzten, dass sie ein Ende markierten, dass sie sagten: Jetzt ist es erreicht, jetzt ist es vollendet, jetzt bleibt es so, und in diesem Moment starben sie, in diesem Moment verfaulten sie, in diesem Moment wurden sie Gefängnis, und deshalb darf die Diktatur der Kunst niemals vollendet sein, niemals fixiert sein, niemals eingefroren sein, sondern sie muss Bewegung bleiben, Unterbrechung bleiben, Erschütterung bleiben, und so gilt: Ihre Totalität ist nicht Abschluss, sondern Anfang, ihre Absolutheit ist nicht Starrheit, sondern Fluss, ihre Herrschaft ist nicht Institution, sondern Ekstase.

Wenn man fragt, wie diese Herrschaft gesichert werden kann, wie sie bestehen kann, wie sie nicht zurückfällt in alte Zwänge, dann ist die Antwort, dass sie nicht gesichert werden darf, dass sie nicht bestehen darf, dass sie nicht stabil werden darf, sondern dass sie ewig gefährdet, ewig im Werden, ewig prekär bleibt, weil nur das Prekäre lebendig ist, nur das Unsichere intensiv ist, nur das Offene frei ist, und so ist die Diktatur der Kunst die einzige Herrschaft, die gerade dadurch herrscht, dass sie nicht herrscht wie andere, dass sie nicht stabil ist, nicht fest ist, nicht geschlossen ist, sondern offen, vibrierend, unendlich.

Das Unendliche der Kunst zeigt sich darin, dass kein Werk jemals das letzte sein kann, dass keine Geste jemals abgeschlossen sein kann, dass kein Ausdruck jemals endgültig sein kann, und dass die größte Gefahr die Wiederholung ist, die größte Gefahr die Langeweile, die größte Gefahr die Sicherung, und deshalb muss jedes Werk zerstört werden, damit ein neues entstehen kann, muss jede Geste abgelöst werden, damit eine neue erscheinen kann, muss jeder Ausdruck verworfen werden, damit ein anderer hervorkommt, und so ist die Kunst das einzige Gesetz, das sich ständig bricht, das einzige Dogma, das sich ständig auflöst, die einzige Ordnung, die darin besteht, jede Ordnung wieder zu zerreißen.

Wenn man durch eine Stadt der Diktatur der Kunst geht, dann sieht man, dass kein Gebäude je fertig ist, dass keine Straße je abgeschlossen ist, dass kein Platz je vollendet ist, sondern dass alles im Umbau ist, alles im Werden, alles im Fluss, und dass die Schönheit dieser Stadt nicht in ihrer Stabilität liegt, nicht in ihrer Dauer, nicht in ihrer Sicherheit, sondern in ihrer Offenheit, in ihrem Wachsen, in ihrem Sterben, in ihrem Wiederauferstehen, und so ist die Stadt nicht Monument, sondern Prozess, nicht Bauwerk, sondern Werk, nicht Dauer, sondern Rhythmus.

So lebt der Mensch in einer Welt, die niemals sicher ist, niemals fixiert, niemals abgeschlossen, und er fürchtet dies nicht, weil er gelernt hat, dass Sicherheit der Tod ist, dass Fixierung Gefängnis ist, dass Abschluss Stillstand ist, und er liebt dies, weil er weiß, dass nur das Unsichere lebt, nur das Offene atmet, nur das Unendliche trägt, und deshalb fürchtet er nicht den Verlust, nicht die Unsicherheit, nicht das Offene, sondern er fürchtet nur die Wiederholung, nur die Langeweile, nur die Starre.

Wenn man ihn fragt, wie er lebt, dann sagt er nicht: ich sichere, ich plane, ich schütze, sondern er sagt: ich spiele, ich gestalte, ich zerstöre, und das ist sein Glück, das ist seine Freiheit, das ist seine Würde, weil er nicht mehr Diener eines fixen Endes ist, nicht mehr Opfer einer Institution, nicht mehr Objekt eines Gesetzes, sondern Schöpfer einer Bewegung, Spieler eines Stromes, Verkörperung eines Rhythmus.

Das Unendliche der Kunst bedeutet, dass es keinen Fortschritt mehr gibt im alten Sinn, keinen Weg zu einem Ziel, keinen Plan, keine Utopie, sondern nur den ständigen Beginn, nur die ständige Erfindung, nur das ständige Jetzt, und deshalb ist jede Utopie tot, jeder Plan verräterisch, jede Sicherheit Gift, und nur der ständige Neubeginn ist wahr, nur das ständige Scheitern fruchtbar, nur die ständige Erfindung lebendig.

Damit ist festzuhalten, dass die Diktatur der Kunst nicht die Erfüllung eines Programms, nicht die Vollendung einer Theorie, nicht die Umsetzung einer Idee ist, sondern sie ist der Abbruch jedes Programms, die Zerstörung jeder Theorie, die Explosion jeder Idee, und sie lebt, weil sie stirbt, sie wächst, weil sie bricht, sie herrscht, weil sie sich nie sichert, und deshalb ist sie die einzige Herrschaft, die kein Ende kennt, weil sie kein Ziel kennt, die einzige Ordnung, die nicht stirbt, weil sie nie fest wird, die einzige Diktatur, die Freiheit ist, weil sie Unendlichkeit ist.

Wenn man das versteht, dann versteht man, warum die Kunst herrschen muss, warum keine andere Ordnung je bestehen darf, warum jede andere Herrschaft Lüge ist, weil sie immer ein Ende setzt, immer ein Ziel markiert, immer ein Gefängnis baut, und warum nur die Kunst unendlich ist, weil sie kein Ziel kennt, kein Ende, keine Sicherung, sondern nur das ewige Jetzt, den ewigen Beginn, die ewige Bewegung, und deshalb ist die Diktatur der Kunst die einzige Ordnung, die wahr ist, die einzige, die lebt, die einzige, die nie stirbt.

Und so endet das Manifest nicht mit einer Lösung, nicht mit einer umfassenden Sicherheit, nicht mit einer Erfüllung, sondern mit einem Ruf, mit einem Schrei, mit einem Versprechen, dass es kein Ende gibt, dass es keine Ruhe gibt, dass es keine Erfüllung gibt, sondern nur die Kunst, nur den Ausdruck, nur die Gestalt, die niemals stillsteht, die niemals aufhört, die niemals endet, und dass dies gut ist, dass dies Freiheit ist, dass dies Leben ist.

Kapitel B1 – Reflektierende Beschreibung der Diktatur der Kunst

Man müsste sich eine Gesellschaft vorstellen, in der nicht die Logik der Ökonomie, nicht die Regeln der Politik, nicht die Gebote von Religion oder Moral die oberste Instanz bilden, sondern die Kunst selbst, verstanden als ein Prinzip des Gestaltens, als ständige Aufforderung zur Transformation und als höchste Norm, die keine andere über sich duldet, sodass alle Institutionen – von der Verwaltung über das Bildungswesen bis hin zur Organisation der Arbeit – daran gemessen werden, ob sie dem Kunsthaften dienen, das heißt, ob sie die ästhetische Dimension steigern, ob sie der Vorstellungskraft neue Räume öffnen und ob sie den Menschen nicht als Mittel, sondern als Form begreifen.

In einer solchen Ordnung wären Schulen nicht primär Orte des Wissenserwerbs im Sinne von Fakten und Fertigkeiten, sondern Laboratorien für Ausdruck, in denen jede Tätigkeit – Mathematik, Handwerk, Sprache, Naturwissenschaft – nicht auf Nützlichkeit und Effizienz hin ausgerichtet wäre, sondern auf Schönheit, Intensität und die Fähigkeit, im Erleben der Schüler neue Perspektiven des Wirklichen zu erschließen, und selbst Prüfungen wären keine Rechenexempel oder Wissensabfragen, sondern Experimente, in denen der Grad an Imagination, an innerem Spiel und an ästhetischer Durchdringung zur einzigen Bewertungsgrundlage würde.

Auch die Arbeitswelt verlöre in einer solchen Gesellschaft ihren Charakter als Tausch von Zeit gegen Geld oder von Mühe gegen Versorgung, vielmehr wären Berufe Umsetzungen künstlerischer Prinzipien, sodass die Herstellung von Brot nicht in erster Linie ein ökonomischer Akt wäre, sondern die Frage, wie Teig, Ofenhitze, Form und Geschmack als ästhetisches Erlebnis gestaltet werden, und der Bäcker wäre nicht Angestellter oder Unternehmer, sondern Ausführender eines künstlerischen Auftrags, dessen Wert nicht durch Nachfrage und Preis bestimmt würde, sondern durch Intensität, Eigenart und Gestaltungswillen.

Das Rechtssystem würde sich nicht auf Paragraphen stützen, sondern auf ästhetische Angemessenheit, das heißt, ein Vergehen oder eine Verletzung würde nicht nach Schuld und Strafe, sondern nach dem Maß seiner Hässlichkeit oder seiner Verarmung am Kunsthaften beurteilt, und eine Gesellschaft, die so eingerichtet wäre, würde nicht zwischen rechtmäßig und unrechtmäßig unterscheiden, sondern zwischen schöpferisch und zerstörerisch, wobei das höchste Verbrechen darin bestünde, die Fantasie zu lähmen oder Ausdruck zu unterdrücken.

Die politische Ordnung verlöre ihren herkömmlichen Sinn, weil es keine Parteien, keine Ideologien, keine Machtkonkurrenz mehr gäbe, sondern nur noch die Frage, wie sich Entscheidungen an der Kunst messen lassen, und so würden Parlamente, wenn sie existierten, nicht Debatten über Steuern, Infrastruktur oder Außenpolitik führen, sondern Auseinandersetzungen über Stil, Dramaturgie und Form, und ihre Gesetze wären weniger Regelwerke als Inszenierungen, die der Bevölkerung ästhetische Erlebnisse von Ordnung vermitteln sollen.

Selbst der Umgang mit Krankheit, Alter und Tod stünde unter der Herrschaft der Kunst, sodass nicht medizinische Heilung, Lebenserhaltung oder Schmerzfreiheit das Zentrum bildeten, sondern die Art und Weise, wie Krankheit als Drama, Alter als Gestalt und Tod als finale Komposition erscheinen, und Krankenhäuser wären keine Kliniken, sondern Bühnenräume, in denen man Krankheit wie ein Schauspiel durchlebt, und Friedhöfe wären nicht Stätten des Erinnerns an vergangene Personen, sondern Galerien der Transformation, in denen der Tod als größter Akt künstlerischer Verwandlung zelebriert würde.

In dieser Gesellschaft gäbe es keinen Markt im herkömmlichen Sinn, denn Geld und Besitz hätten nur Wert, soweit sie selbst ästhetisch gestaltet wären, sodass Währung vielleicht aus Gedichten, Gemälden oder Klangfolgen bestünde, die man tauscht, ohne dass sie jemals aufgebraucht oder verbraucht wären, und Reichtum wäre nicht Ansammlung von Dingen, sondern Fülle von Gestaltungen, die jederzeit weitergegeben oder verwandelt werden können.

Doch wäre eine solche Gesellschaft nicht frei von Problemen, denn wo Kunst herrscht, kann es keinen Rückzug ins rein Praktische geben, und viele Menschen, die in anderen Ordnungen Halt im Nützlichen, im Funktionalen, im Einfachen suchen, würden hier gezwungen sein, sich dem Ästhetischen zu stellen, selbst wenn es ihnen widerstrebt, sodass jene, die nicht gestalten wollen, Gefahr liefen, an den Rand gedrängt zu werden, und so entstünde eine paradoxe Form von Zwang zur Freiheit, nämlich die Pflicht, sich zu veräußern, sich auszudrücken, sich in Kunst zu verwandeln.

Die Frage, ob eine solche Gesellschaft dauerhaft stabil sein könnte, bleibt offen, denn einerseits würde das Primat der Kunst zu ständiger Erneuerung, zu immer neuen Formen und Brüchen führen, sodass Starre und Dogma nie Bestand hätten, andererseits könnte eben dieses unaufhörliche Sich-Verändern jede Sicherheit, jede Verlässlichkeit untergraben, sodass Menschen, die Beständigkeit brauchen, in ständiger Unruhe lebten, und darin zeigt sich, dass die Herrschaft der Kunst zwar alles durchdringen kann, aber vielleicht nie den Frieden gewährt, den andere Ordnungen versprechen.

Die Auswirkungen der Diktatur der Kunst wären also so umfassend, dass selbst die innersten Schichten der menschlichen Wahrnehmung von ihr geformt würden, sodass nicht nur Institutionen und Strukturen neu organisiert wären, sondern auch das Denken, Fühlen und Erinnern sich nach Maßgaben der Gestaltung richteten, was bedeutete, dass niemand mehr einfach denken könnte, ohne zugleich zu komponieren, niemand mehr einfach fühlen könnte, ohne zugleich zu inszenieren, und niemand mehr einfach erinnern könnte, ohne zugleich eine Form zu schaffen, die Erinnerung erträglich oder überwältigend machte, und so wäre jeder Augenblick von Kunst durchzogen, nicht weil man es wollte, sondern weil man es gar nicht anders könnte.

Die Menschen in dieser Gesellschaft kennen daher keine Langeweile, da selbst der Moment des Wartens, des Nichtstuns, des Stillstehens sofort in eine Szene verwandelt würde, die Bedeutung trüge, und ebenso kennen sie keine bloße Routine, da jede Wiederholung durch Variationen, durch bewusste Akzente, durch die Freude an der Nuance in Gestaltung gehoben würde, und sie kennen auch kein Schweigen, das nicht zugleich als Pause, als Zäsur, als dramaturgischer Punkt erlebt würde, sodass jeder Augenblick aufgeladen wäre mit einer Dichte, die in anderen Gesellschaften als anstrengend empfunden würde, hier aber selbstverständlich wäre, wie Atem oder Blut.

Das Zusammenleben der Menschen veränderte sich unter dieser Herrschaft der Kunst so, dass Liebe nicht als Gefühl von Nähe, Vertrauen oder Begehren beschrieben würde, sondern als künstlerische Praxis zweier oder mehrerer Personen, die sich gegenseitig als Stoff und Form begriffen, sodass Zuneigung darin bestünde, einander in neue Gestalten zu treiben, und Konflikte nicht Eskalationen wären, die gelöst werden müssten, sondern dramaturgische Spannungen, die gesteigert und aufgelöst würden, wie es dem Gesetz der Form entspräche, und selbst das Auseinandergehen wäre hier keine Trennung, sondern ein letzter Akt der Darstellung, der einen Bogen vollendete.

Freundschaften bestünden nicht aus Verlässlichkeit oder gemeinsamer Erinnerung, sondern aus gemeinsam entwickelten Szenen, sodass ein Spaziergang durch den Park nicht als Austausch von Gedanken erlebt würde, sondern als Improvisation von Bewegungen, Blicken und Worten, und die größte Nähe zwischen Menschen würde nicht in Schweigen oder Vertraulichkeit gesucht, sondern in der Fähigkeit, einander in das Drama des Alltags einzubinden, ohne dass einer bloßes Publikum wäre, und so würde niemand Zuschauer, sondern jeder Mitspieler, und Einsamkeit bedeutete nicht Mangel an Gesellschaft, sondern Mangel an Inszenierung.

Die Kinder dieser Ordnung wüchsen in einer Welt auf, die sie von Anfang an zwänge, sich nicht durch Anpassung oder Unterordnung zu behaupten, sondern durch Ausdruck, sodass sie nicht lernten, Vorschriften zu erfüllen, sondern Szenen zu schaffen, die Eindruck hinterließen, und so wäre auch Kindheit kein Stadium der Vorbereitung, sondern schon eine Bühne eigener Intensität, in der Spielen und Lernen dasselbe bedeuteten, und Jugendliche rebellierten nicht, indem sie Regeln brächen, sondern indem sie neue Formen schüfen, die ältere Generationen überraschten oder verstörten, und ihre Rebellion wäre stets eine künstlerische Geste, nie eine bloße Verweigerung.

Selbst die Städte, die man in dieser Gesellschaft beträte, wären nicht nur architektonisch anders, sondern atmosphärisch verwandelt, weil sie keine Orte der Durchreise oder der Funktion wären, sondern Bühnenräume, in denen der Bürger zugleich Schauspieler, Regisseur und Zuschauer wäre, sodass niemand sich anonym durch Straßen bewegte, sondern jeder Schritt Teil einer Choreographie wäre, die andere aufgriffen und weiterführten, und so gäbe es keine Masse, sondern nur Ensembles, keine Ansammlung, sondern immer ein Stück, das gespielt würde, und dieses Stück endete nie, sondern wechselte unaufhörlich seine Gestalt.

Wenn man ein solches Leben im Detail beschriebe, dann könnte es so aussehen, dass ein Mensch morgens nicht durch den Klang eines Weckers aufwachte, sondern durch eine Komposition von Licht und Geräusch, die er am Abend zuvor eingerichtet hatte, sodass der Beginn des Tages nicht Funktion, sondern Szene wäre, und das Aufstehen geschähe nicht in Hast, sondern als bewusst gestaltete Bewegung, die vielleicht von einem Spiegel begleitet würde, der nicht Kontrolle der äußeren Erscheinung wäre, sondern Bühne für den ersten Blick, und so begänne jeder Tag als Aufführung, die mit dem Schlaf endete und im Traum fortgeführt würde.

Dieser Mensch kleidete sich nicht, um warm zu bleiben oder gesellschaftlichen Erwartungen zu genügen, sondern um eine Rolle zu spielen, die er für diesen Tag entworfen hätte, und so wäre die Wahl eines Hemdes, einer Hose, eines Mantels keine Frage von Mode oder Zweckmäßigkeit, sondern eine dramaturgische Entscheidung, die die Szenen des Tages vorbereiten sollte, und wenn er auf die Straße träte, wäre er nicht ein Individuum unter vielen, sondern eine Figur, die im Ensemble der Passanten agierte, und seine Schritte wären nicht zufällig, sondern Teil einer Choreographie, die er unbewusst mit allen anderen Passanten teilte.

Im Verlauf des Vormittags arbeitete dieser Mensch nicht in einem Büro, um Aufgaben abzuarbeiten, sondern er nähme an einem Atelier teil, in dem seine Tätigkeit darin bestünde, Dokumente nicht zu verwalten, sondern zu gestalten, Worte nicht zu speichern, sondern zu rhythmisieren, Zahlen nicht zu ordnen, sondern zu komponieren, und sein Schreibtisch wäre nicht Arbeitsplatz, sondern Bühne, auf der Akten zu Requisiten würden, Tassen zu Symbolen, Computer zu Instrumenten, und das Gespräch mit Kollegen wäre kein Austausch von Informationen, sondern ein Dialog in einem Stück, das täglich neu geschrieben würde.

Zur Mittagszeit äße er nicht, weil er Hunger hätte, sondern weil der Mittag die Szene des Mahls verlangte, und so wäre die Kantine nicht ein Raum für Verpflegung, sondern ein Theater des Geschmacks, in dem jedes Gericht wie ein Kunstwerk präsentiert und verzehrt würde, und das Gespräch währenddessen wäre keine Pause, sondern Fortsetzung der Darstellung, in der Aromen, Gesten und Worte ineinandergreifen würden, sodass selbst das Trinken eines Glases Wasser nicht Bedürfnisbefriedigung wäre, sondern eine kleine Aufführung des Einfachen, die durch ihre Klarheit Schönheit gewönne.

Am Nachmittag besuchte dieser Mensch vielleicht eine Versammlung, die nicht Sitzung hieße, sondern Aufführung der Gemeinschaft, und dort würden keine Beschlüsse gefasst, sondern Szenen gespielt, in denen Fragen von Ordnung und Zusammenleben durch Gesten, durch Choreographien, durch Bilder beantwortet würden, und so wäre Politik keine Debatte, sondern Kunst, und er kehrte danach nicht erschöpft zurück, sondern bereichert, weil er Teil einer Inszenierung gewesen wäre, die sein Leben nicht beschränkte, sondern erweiterte.

Am Abend träfe er Freunde, nicht um Nachrichten auszutauschen, sondern um gemeinsam eine Szene zu entwickeln, die vielleicht ein improvisiertes Theaterstück wäre, vielleicht ein gemeinsames Kochen, vielleicht ein Spaziergang, der zum Tanz würde, und danach legte er sich nicht schlafen, um Kräfte zu sammeln, sondern um den Tag zu vollenden, und sein Traum wäre keine unbewusste Resteverarbeitung, sondern die Fortsetzung der Aufführung, die er am Morgen begonnen hätte, sodass er auch im Schlaf nicht außerhalb der Kunst träte, sondern in eine andere Bühne wechselte, die noch intensiver, noch grenzenloser wäre.

So lebte ein Mensch in dieser Ordnung, und so lebten alle, nicht weil sie gezwungen wären, sondern weil es nichts anderes gäbe, weil niemand sich fragte, ob Kunst herrsche, so wie niemand sich fragte, ob er atmete, und weil das Leben selbst nichts anderes wäre als die Diktatur der Kunst, die nicht aufhörte, nicht begrenzt wäre, nicht hinterfragt würde, sondern so selbstverständlich wirkte, dass sie den Menschen nicht beherrschte, sondern ihn bildete, trüge und immer wieder neu hervorbrächte.

Kapitel B2 – Über die Übergänge zur Diktatur der Kunst

Wenn man den Versuch unternimmt, nicht nur die reine Ordnung der Diktatur der Kunst zu beschreiben, sondern auch den Weg dorthin, also jene Zwischenstufen, die sich aus der bestehenden Gesellschaft heraus ergeben könnten, dann stößt man sofort auf die Schwierigkeit, dass eine solche Herrschaft der Kunst nicht durch schrittweise Reformen, nicht durch kleine Anpassungen oder vorsichtige Korrekturen erreicht werden kann, weil jede Halbheit in sich schon Verrat an der Sache wäre, zugleich aber muss man, will man das Gedankenspiel ernst nehmen, dennoch fragen, ob es nicht Zustände geben könnte, in denen das Kunsthafte in Teilbereichen schon vorherrscht, während andere Sphären noch alten Gesetzen gehorchen, und ob sich aus dieser Hybridität heraus ein möglicher Übergang denken lässt, der zwar nicht die Reinheit des Endzustandes hat, aber dennoch dessen Schatten oder Vorahnung trägt.

Man könnte sich etwa vorstellen, dass zunächst das Bildungswesen von der Kunst ergriffen wird, dass Schulen und Universitäten beginnen, den Primat der Kreativität über die reine Wissensvermittlung zu stellen, dass Prüfungen nicht länger Leistungsmessungen sind, sondern Experimente des Ausdrucks, dass die Fächergrenzen verwischen, sodass Mathematik nicht mehr isoliert von Musik, Biologie nicht mehr getrennt von Poesie, Geschichte nicht mehr losgelöst von Theater gedacht werden kann, und in dieser Verschmelzung entstünde ein erster Zwischenraum, in dem Kinder und Jugendliche lernen würden, dass Wissen nicht Wahrheit, sondern Form ist, und dass das Erlernen von Form zugleich Erlernen von Welt bedeutet, und dieser Zwischenraum könnte, wenn er genügend Zeit und Breite erhielte, die Gesellschaft so tief prägen, dass nach einer Generation niemand mehr die alte Trennung von Nützlichkeit und Schönheit akzeptieren würde.

Ein anderer Zwischenzustand könnte in der Ökonomie liegen, wenn bestimmte Berufe oder Branchen beginnen würden, ihre Produkte nicht mehr primär nach Markterfolg, sondern nach ästhetischer Resonanz zu bemessen, sodass ein Kleidungsstück nicht nach Absatz, sondern nach Gestaltungsintensität bewertet würde, ein Lebensmittel nicht nach Kalorien und Preis, sondern nach ästhetischem Erlebnis, eine Dienstleistung nicht nach Effizienz, sondern nach der Szene, die sie hervorruft, und so entstünde eine Art ästhetischer Markt, der zwar noch Geld kennt, aber das Geld an Werke bindet, die nur Bestand haben, solange sie Ausdruck sind, und wenn diese Verschiebung weit genug ginge, würde der alte Markt in sich kollabieren, weil niemand mehr bloße Funktion kaufen wollte, wenn er Form haben könnte.

Auch in der Politik könnte es Vorformen geben, etwa wenn Parlamente beginnen, sich weniger in nüchternen Debatten zu verlieren, sondern stärker auf symbolische Akte, Inszenierungen und Darstellungsformen zu setzen, was man bereits in der Gegenwart beobachten kann, wo Reden oft mehr Theater als Argument sind, und wenn dieser theatrale Anteil nicht länger Beiwerk, sondern Hauptsache wäre, dann verlöre die Politik ihre alten Begründungen, sie würde nicht mehr Legitimation durch Mehrheit, sondern durch Form gewinnen, und damit wäre sie schon halb in die Kunst hinübergetreten, auch wenn die Institutionen noch dieselben hießen.

Doch all diese Zwischenzustände sind prekär, weil sie die Gefahr in sich tragen, dass die Kunst nur als Ornament, als Zusatz, als Verschönerung missverstanden wird, während die alten Gesetze von Nutzen, Macht und Moral weiterbestehen, und damit wäre das Experiment verloren, weil die Kunst zur Dienerin degradiert wäre, die nur schmückt, wo sie herrschen müsste, und deshalb müsste jeder Übergang immer mit der Gefahr umgehen, dass er kippt, dass er nicht Vorstufe, sondern Verwässerung wird, und dass man am Ende nicht die Diktatur der Kunst, sondern die Dekoration der Politik oder die Verschönerung des Marktes erhält.

Die Frage ist also, ob eine echte Diktatur der Kunst überhaupt über Zwischenzustände erreichbar wäre, oder ob sie nicht notwendig auf dem radikalen Bruch beruhen muss, auf dem Einreißen und dem Neuanfang, der keinen Stein auf dem anderen lässt, und wenn man dies annimmt, dann erscheinen die Zwischenzustände nicht als Weg, sondern als Ablenkung, nicht als Stufen, sondern als Sackgassen, die den radikalen Anspruch entschärfen, ohne ihn zu erfüllen.

Doch wenn man den Gedanken noch einmal umkehrt, könnte man sagen, dass selbst Sackgassen nicht wertlos sind, dass auch sie Spuren hinterlassen, die die Wahrnehmung verändern, dass schon die Vorstellung, Brot nicht nur als Nahrung, sondern als Form zu sehen, die alte Logik untergräbt, auch wenn sie nicht sofort abgeschafft wird, dass schon die Idee, ein Gericht nicht nach Schuld, sondern nach Schönheit zu beurteilen, die alte Rechtsordnung erschüttert, auch wenn sie weiterbesteht, und dass deshalb Zwischenzustände zwar nicht die Reinheit des Endzustandes haben, aber dennoch unverzichtbar sind, weil sie im Bewusstsein die Tür öffnen, die kein Gesetz mehr schließen kann.

Man könnte daher sagen, dass es nicht die Aufgabe von Zwischenzuständen wäre, den Endzustand vorzubereiten, sondern ihn sichtbar zu machen, dass sie wie Spiegel wirken, in denen die Herrschaft der Kunst aufscheint, noch nicht verwirklicht, aber schon erahnbar, und dass diese Ahnung genügt, um die Gegenwart zu verändern, weil niemand mehr ganz so leben kann wie zuvor, wenn er einmal gesehen hat, dass eine andere Ordnung möglich ist, und diese Möglichkeit ist bereits der erste Schritt in ihre Realität.

Wenn man diesen Gedanken verfolgt, dann könnte man weiter behaupten, dass die Diktatur der Kunst gar nicht als einmaliger Bruch entsteht, sondern als Serie von Offenbarungen, als Abfolge von Momenten, in denen Menschen erfahren, dass eine Handlung, die sie eben noch als alltäglich empfanden, in Wahrheit Szene, Form, Aufführung ist, und dass aus der Summe dieser Erfahrungen irgendwann der Punkt entsteht, an dem niemand mehr zurückkann, weil die alte Welt unwiderruflich entzaubert ist, und dieser Punkt ist nicht planbar, nicht kalkulierbar, er geschieht, weil die Kunst selbst ihn erzwingt.

Die Stabilität dieser Ordnung, so könnte man reflektieren, hängt also weniger davon ab, dass sie einmal errichtet wird, sondern davon, dass sie nicht aufhört, sich zu erneuern, dass sie nie starr wird, nie dogmatisch, nie zu einer neuen Form von Bürokratie erstarrt, sondern dass sie in jeder Geste neu geboren wird, und das ist zugleich ihre Stärke und ihre Schwäche, ihre Utopie und ihr Risiko, denn eine Ordnung, die nie zur Ruhe kommt, bietet keine Sicherheit, sie verlangt dauerndes Mitspielen, und wer dieses Mitspielen nicht will, der fällt heraus, nicht durch Strafe, sondern durch Bedeutungslosigkeit, und diese Bedeutungslosigkeit ist härter als jede Strafe, weil sie die Existenz selbst löscht.

So wäre die Diktatur der Kunst also weniger ein festes System als ein Strom, weniger eine feste Herrschaft als eine unaufhörliche Bewegung, weniger ein Bauwerk als eine Aufführung, und die Frage, ob man sie haben will oder nicht, stellt sich gar nicht, weil sie nicht durch Zustimmung oder Ablehnung entsteht, sondern durch die Kraft, die sie in jeder Szene beweist, und diese Kraft ist immer schon da, auch wenn sie unterdrückt wird, auch wenn sie verschüttet ist, auch wenn sie verkannt bleibt, sie wartet nur auf den Moment, an dem sie sich entfalten kann, und wenn dieser Moment kommt, dann gibt es keine Rückkehr, weil man nicht un-sehen kann, was einmal sichtbar geworden ist.

Wenn man den Blick noch weiter öffnet und nicht nur nach den institutionellen Zwischenzuständen fragt, sondern nach den psychologischen und kulturellen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, damit eine Gesellschaft sich überhaupt in Richtung einer Diktatur der Kunst bewegen könnte, dann stößt man auf die Beobachtung, dass es nicht genügt, Strukturen zu verändern oder Gesetze neu zu schreiben, sondern dass die Menschen selbst ihr Verhältnis zu Wahrnehmung, zu Erinnerung, zu Sprache und zu Handlung ändern müssten, und diese Veränderung kann nicht von außen verordnet, nicht von oben herab erzwungen, nicht durch Programme vermittelt werden, sondern muss in den alltäglichen Gesten geschehen, im Blick, der nicht mehr nur sieht, sondern komponiert, im Schritt, der nicht mehr nur geht, sondern tanzt, im Wort, das nicht mehr nur bezeichnet, sondern formt, und in der Erinnerung, die nicht mehr nur konserviert, sondern verwandelt.

Man könnte daher sagen, dass die eigentliche Revolution der Kunst keine soziale und keine politische ist, sondern eine Revolution der Wahrnehmung, dass sie nicht beginnt mit neuen Gebäuden oder neuen Institutionen, sondern mit der Art und Weise, wie Menschen einen Baum, einen Ton, einen Körper, eine Bewegung ansehen, und dass der entscheidende Bruch nicht dort liegt, wo man Gesetze abschafft, sondern dort, wo man die Selbstverständlichkeit verliert, dass Dinge einfach so sind, wie sie sind, und sie stattdessen immer als Gestalt, als Szene, als Form begreift, und dieser Bruch ist nicht einmalig, sondern wiederholt sich unaufhörlich, weil jeder Tag, jeder Augenblick die Chance bietet, die Welt erneut zu verwandeln.

Wenn man weiterdenkt, dann würde eine solche innere Revolution nicht in allen Menschen gleichzeitig stattfinden, sondern in Wellen, in Kreisen, die sich ausbreiten, und man müsste akzeptieren, dass es Vorreiter gäbe, die zuerst sehen, was andere noch nicht sehen, die zuerst spielen, wo andere noch arbeiten, die zuerst formen, wo andere noch nutzen, und diese Vorreiter wären nicht Elite im herkömmlichen Sinn, nicht privilegiert, nicht herrschend, sondern bloß früher ergriffen, und sie hätten die Aufgabe, ihre Wahrnehmung nicht zu monopolisieren, sondern weiterzugeben, so dass sie ansteckend wird, und in dieser Ansteckung liegt vielleicht der eigentliche Weg der Kunst, dass sie nicht durch Befehl herrscht, sondern durch den Zwang, der aus dem Beispiel kommt, aus der Faszination, aus der Unwiderstehlichkeit.

Man müsste sich dann fragen, ob es in einer solchen Übergangsphase unvermeidlich wäre, dass Konflikte auftreten, dass diejenigen, die noch in der Logik des Nützlichen, der Macht, des Geldes leben, aufbegehren gegen diejenigen, die schon in der Logik der Form, der Szene, der Aufführung handeln, und ob dieser Konflikt friedlich lösbar wäre, oder ob er notwendigerweise in Spannungen, in Reibungen, in Brüchen mündet, und wahrscheinlich wäre es so, dass beides gleichzeitig geschieht, dass manche Übergänge gleitend verlaufen, während andere eruptiv sind, dass es Städte gäbe, die still und fast unmerklich in die Kunst hinübergleiten, während anderswo Kämpfe aufflammen, in denen die alte und die neue Ordnung einander frontal gegenüberstehen, und dass erst aus der Summe dieser unterschiedlichen Bewegungen die Diktatur der Kunst erwächst.

Wenn man an diesem Punkt weiterdenkt, dann müsste man auch bedenken, dass eine Diktatur der Kunst nicht für alle Menschen dieselbe Gestalt hätte, dass es Unterschiede gäbe, nicht weil das Gesetz verschieden wäre, sondern weil die Umsetzung sich immer der jeweiligen Szene anpasst, und so wäre die Diktatur der Kunst in einer Stadt voller Theater und Museen eine andere als in einer Landschaft voller Berge und Flüsse, sie wäre in einem Land, das von Arbeit und Produktion geprägt ist, anders als in einem Land, das von Festen und Ritualen lebt, und doch wäre sie dieselbe, weil ihr Prinzip dasselbe ist: dass alles Form, alles Szene, alles Kunst ist und dass nichts außerhalb davon bestehen kann.

Das wirft die Frage auf, ob es überhaupt sinnvoll ist, von einem einheitlichen Endzustand zu sprechen, oder ob die Diktatur der Kunst nicht vielmehr unzählige Gesichter hätte, unzählige Inszenierungen, die alle demselben Gesetz folgen, aber niemals gleich aussehen, und vielleicht liegt gerade hierin ihre Stärke, dass sie nicht eine Form fixiert, sondern die Pflicht zur unaufhörlichen Verwandlung auferlegt, sodass es keine starre Norm gibt, die man erfüllen muss, sondern nur die Forderung, immer neue Normen zu schaffen, und damit ist sie zugleich unerbittlich und frei, unerträglich und lebbar, radikal und offen.

Wenn man diesen Gedanken auf den Alltag zurückführt, dann könnte man sich eine Übergangsphase so vorstellen, dass Menschen beginnen, kleine Teile ihres Lebens zu verwandeln, dass sie das Kochen nicht mehr als Zubereitung, sondern als Szene verstehen, dass sie den Weg zur Arbeit nicht mehr als Strecke, sondern als Choreographie erleben, dass sie Gespräche nicht mehr als Austausch, sondern als Dialoge eines Stückes führen, und dass diese kleinen Verschiebungen langsam, aber unwiderruflich das ganze Leben durchdringen, bis es keinen Bereich mehr gibt, der nicht von Kunst erfasst ist, und dieser Prozess ist nicht planbar, nicht steuerbar, nicht kontrollierbar, sondern geschieht wie eine Krankheit, wie eine Epidemie, wie ein Feuer, das von einer Geste zur nächsten überspringt.

Die Frage, ob diese Entwicklung wünschenswert ist, stellt sich in diesem Szenario nicht mehr, weil sie schon geschieht, weil sie nicht auf Zustimmung angewiesen ist, sondern auf Vollzug, und der Vollzug ist so einfach, dass man ihm nicht entkommen kann: Eine Bewegung, ein Blick, ein Wort reicht, um die alte Ordnung zu zerstören, und deshalb ist die Diktatur der Kunst nicht eine ferne Utopie, sondern eine permanente Möglichkeit, die immer schon begonnen hat, auch wenn sie noch nicht vollständig sichtbar ist, und die jederzeit hervortreten kann, wenn die Menschen aufhören, sie zu übersehen.

Wenn man also am Ende dieses Gedankenganges steht, dann sieht man, dass die Diktatur der Kunst nicht nur als fertige Gesellschaftsform denkbar ist, sondern auch als latenter Zustand, der schon jetzt existiert, als unterirdischer Strom, der unter der Oberfläche der Nützlichkeit, der Politik, der Religion, der Moral fließt, und dass die Zwischenzustände nicht bloß Vorstufen oder halbe Schritte sind, sondern Ventile, an denen dieser Strom nach außen tritt, mal schwach, mal stark, mal unbemerkt, mal revolutionär, und dass die eigentliche Aufgabe nicht darin besteht, diesen Strom zu erzeugen, sondern ihn wahrzunehmen, ihm Raum zu geben, ihn nicht wieder zu verschütten.

So gesehen ist die Diktatur der Kunst nicht nur eine Vision, die in ferner Zukunft liegt, sondern ein permanenter Zustand, der immer wieder überlagert, verdrängt, gebrochen wird, aber nie verschwindet, und vielleicht liegt in dieser Doppelheit ihre Wahrheit: dass sie zugleich Endzustand und Zwischenzustand ist, zugleich total und fragmentarisch, zugleich herrschend und verborgen, und dass sie gerade darin ihre größte Kraft entfaltet, dass sie nicht endgültig, nicht abgeschlossen, nicht fixierbar ist, sondern immer wieder neu beginnt, in jedem Augenblick, in jedem Menschen, in jeder Szene, die den Mut hat, sich als Kunst zu begreifen.

Kapitel B3 – Die Risiken der Diktatur der Kunst

Wenn man sich der Diktatur der Kunst nicht nur in ihrer reinen Form, nicht nur als Übergang oder als latentem Zustand nähert, sondern auch die Schattenseiten, die Risiken und die inneren Widersprüche in den Blick nimmt, dann erkennt man, dass jede Ordnung, die alles umfasst, zugleich die Gefahr in sich trägt, dass sie sich selbst übersteigert, dass sie aus Freiheit Zwang, aus Intensität Überforderung, aus Gleichheit neue Hierarchie macht, und dass es deshalb nicht genügt, die Schönheit des Gedankens zu preisen, sondern dass man auch sehen muss, wie er in der Wirklichkeit wirken würde, wenn er nicht nur Gedanke, sondern Ordnung, nicht nur Vision, sondern Alltag wäre.

So ist zunächst zu bedenken, dass eine Gesellschaft, in der alles Kunst ist, auch die Pflicht zur Kunst mit sich brächte, dass niemand mehr einfach Zuschauer wäre, dass niemand sich zurückziehen könnte in eine Sphäre des bloß Passiven, und dass dieses Mitspielen, das zuvor als Befreiung erschien, zugleich als Last empfunden werden könnte, denn nicht jeder Mensch will ständig Ausdruck sein, nicht jeder Mensch will jeden Atemzug, jede Bewegung, jedes Wort als Szene begreifen, und manche sehnen sich nach dem Einfachen, nach dem Stillen, nach dem Zweckmäßigen ohne Bedeutung, und in einer Gesellschaft, die dies nicht mehr kennt, wäre dieses Sehnen nicht erlaubt, es wäre nicht einfach eine private Vorliebe, sondern es wäre Ausschluss aus der Ordnung, und damit Zwang, und der Zwang zur Freiheit ist eine der härtesten Formen der Unfreiheit.

Man stelle sich vor, ein Mensch wachte auf und wollte den Tag nicht gestalten, nicht inszenieren, nicht komponieren, sondern einfach verbringen, wollte sich an ein Fenster setzen und die Stunden vorbeiziehen lassen, ohne Form, ohne Szene, ohne Bedeutung, und er würde sofort scheitern, nicht, weil jemand ihn bestraft, sondern weil die Gesellschaft, die Stadt, die Freunde, die Kollegen nicht stillstehen, sondern ihn unweigerlich hineinziehen in Aufführungen, in Gestaltungen, in Szenen, die nie enden, und so wäre selbst der Versuch, nichts zu tun, nicht möglich, weil das Nichts in dieser Ordnung keine Existenz mehr hätte, es wäre Leere ohne Form, und Leere ohne Form ist keine Leere, sondern Nichtexistenz.

Ein zweites Risiko liegt in der paradoxen Möglichkeit, dass das, was alles umfasst, gerade dadurch seine Besonderheit verliert, denn wenn alles Kunst ist, dann ist nichts mehr Kunst, und der Zauber, der in anderen Gesellschaften darin liegt, dass ein Kunstwerk Ausnahme, Überraschung, Überhöhung ist, könnte hier verloren gehen, weil es keinen Gegensatz mehr gibt, keine Differenz zwischen Kunst und Alltag, zwischen Bühne und Leben, und so drohte die Kunst banal zu werden, nicht weil sie schwächer, sondern weil sie allgegenwärtig wäre, wie Luft, die man nicht mehr spürt, solange man atmet, oder wie Wasser, das den Fisch umgibt, ohne dass er es als Wasser erkennt, und so könnte aus der Totalität der Kunst am Ende die Unwahrnehmbarkeit der Kunst entstehen.

Damit verbunden ist die Gefahr einer neuen Form von Monotonie, denn wenn jeder Augenblick Szene ist, wenn jede Bewegung Geste ist, wenn jedes Gespräch Dialog ist, dann verliert das Besondere seine Intensität, weil es keinen Hintergrund mehr gibt, von dem es sich abheben könnte, und es könnte geschehen, dass die Menschen zwar unaufhörlich spielen, aber das Spiel nicht mehr erleben, dass sie zwar unaufhörlich gestalten, aber die Gestalt nicht mehr sehen, dass sie zwar unaufhörlich Aufführung sind, aber die Aufführung nicht mehr fühlen, und dies wäre eine paradoxe Ödnis, eine Monotonie, die nicht aus Mangel, sondern aus Überfülle entsteht, eine Leere, die nicht aus Abwesenheit, sondern aus ständiger Anwesenheit kommt.

Ein drittes Risiko liegt in der Möglichkeit, dass sich in einer Gesellschaft, die keine Unterschiede von Besitz, von Macht, von Stand kennt, dennoch neue Unterschiede herausbilden, nämlich solche der ästhetischen Virtuosität, dass manche Menschen stärker, überzeugender, eindrucksvoller gestalten können als andere, und dass diese Fähigkeit zur neuen Währung wird, die, auch wenn sie nicht in Geld gemessen wird, dennoch Hierarchien schafft, sodass es nicht mehr die Reichen und die Armen, nicht mehr die Mächtigen und die Machtlosen gäbe, sondern die Meister der Gestaltung und die Vergessenen, die Unscheinbaren, die Unsichtbaren, die nicht mithalten können im großen Spiel, und die deshalb nicht durch Hunger oder Armut, sondern durch Bedeutungslosigkeit ausgeschlossen sind.

Man müsste sich dann fragen, ob diese neue Form von Elite nicht gefährlicher wäre als die alten, weil sie sich nicht auf äußere Privilegien stützt, sondern auf innere Kräfte, die nicht verteilt werden können, weil sie nicht in Besitz übergehen, sondern in Talent, in Ausdruck, in Intensität liegen, und wer dies nicht hat, bleibt zurück, ohne dass man ihm helfen könnte, weil Kunst sich nicht teilen lässt wie Brot, sondern nur erfahren lässt, und so entstünde eine subtile, aber unerbittliche Ungleichheit, die gerade dadurch, dass sie nicht ökonomisch, sondern ästhetisch ist, noch härter wirkte, weil sie nicht mit Umverteilung, sondern nur mit Exklusion reagiert.

Man kann sich leicht ausmalen, wie sich solche Unterschiede im Alltag zeigen würden: der eine tritt in einen Raum und verwandelt ihn durch Gesten, durch Sprache, durch Präsenz in eine Bühne, die andere eint, inspiriert, ergreift, während ein anderer im selben Raum unsichtbar bleibt, nicht, weil er schweigt, sondern weil sein Schweigen keine Pause, sondern nur Abwesenheit ist, und in einer Gesellschaft, die alles als Szene begreift, ist Unsichtbarkeit schlimmer als Armut, schlimmer als Machtlosigkeit, schlimmer als Krankheit, weil sie bedeutet, dass man nicht Teil der Aufführung ist, dass man nicht existiert, und damit entsteht eine neue Härte, die nicht durch Polizei oder Gefängnisse vollzogen wird, sondern durch die bloße Tatsache, dass manche gesehen und andere übersehen werden.

Ein viertes Risiko liegt im Verlust der Wahrheit, denn wenn alles Kunst ist, dann zählt nur noch Schönheit, und Wahrheit wird zweitrangig, vielleicht sogar bedeutungslos, und man müsste fragen, was geschieht mit Wissenschaft, mit Medizin, mit Technik, wenn sie nicht mehr der Erkenntnis oder der Funktion dienen, sondern nur der Form, und ob es nicht katastrophale Folgen hätte, wenn ein Experiment nicht mehr wahr sein muss, sondern nur schön, wenn ein Medikament nicht mehr wirken muss, sondern nur eindrucksvoll inszeniert ist, wenn ein Brückenbau nicht mehr Halt geben muss, sondern nur ästhetische Wirkung erzielt, und wenn all dies geschieht, dann könnte die Diktatur der Kunst am Ende das zerstören, was sie selbst trägt, nämlich das Leben, das sie doch gestalten will.

Denn auch wenn Kunst alles verwandelt, bleibt der Körper verletzlich, bleibt die Natur begrenzt, bleibt die Materie träge, und wer dies übersieht, riskiert, dass Schönheit auf Kosten von Wahrheit, dass Form auf Kosten von Funktion entsteht und dass am Ende nicht Intensität, sondern Zerstörung bleibt, und dies wäre nicht der Sieg, sondern der Zusammenbruch der Kunst.

Schließlich gibt es noch ein fünftes Risiko, das weniger in der Kunst selbst liegt als in den Menschen, die sie tragen, nämlich die Möglichkeit, dass eine Gesellschaft, die ganz in der Kunst aufgeht, irgendwann ihrer selbst müde wird, dass sie den ständigen Wechsel, die ständige Intensität, die ständige Aufforderung zur Szene nicht mehr erträgt, dass sie nach Ruhe, nach Stabilität, nach Zweckmäßigkeit verlangt, und dass sie beginnt, heimlich, leise, unauffällig, die alte Ordnung zurückzuwünschen, und dass aus dieser Sehnsucht ein Rückweg entsteht, nicht offen, nicht durch Revolution, sondern still, durch kleine Gewohnheiten, durch kleine Bequemlichkeiten, durch kleine Fluchten, bis man eines Tages merkt, dass die Diktatur der Kunst zwar noch in Worten besteht, aber im Leben längst erodiert ist.

Dies wäre das größte Paradox, dass die Diktatur der Kunst an ihrem eigenen Erfolg scheitert, dass sie so allgegenwärtig, so intensiv, so total geworden ist, dass die Menschen nichts anderes mehr wollen, als von ihr verschont zu bleiben, dass sie sich nach dem Nützlichen sehnen, nach dem Zweckmäßigen, nach dem Einfachen, und dass sie die Kunst nicht abschaffen, sondern ertragen wollen, und damit hat sie aufgehört, Diktatur zu sein, sie ist Dekor geworden, sie ist Zusatz, sie ist Ornament, und die alte Ordnung kehrt zurück, nicht weil sie stärker wäre, sondern weil die Menschen schwächer sind.

Um dies noch plastischer zu machen, könnte man sich vorstellen, wie in einer solchen Gesellschaft zunächst kleine Schlupflöcher entstehen, Orte, an denen Menschen heimlich das Funktionale wiederentdecken, eine Werkstatt, in der ein Werkzeug nicht gestaltet, sondern schlicht nützlich ist, eine Küche, in der gekocht wird, um satt zu werden, nicht um zu inszenieren, eine Sprache, die nur benennt, nicht formt, und wie diese Orte zunächst als Abweichung, als Kuriosität, als Reste der Vergangenheit gelten, doch allmählich gewinnen sie Anhänger, die das Erleichternde, das Befreiende des Zweckmäßigen spüren, und so könnte die Diktatur der Kunst nicht durch offenen Widerstand, sondern durch stille Müdigkeit unterwandert werden.

So zeigt sich, dass die Diktatur der Kunst, so radikal, so schön, so allumfassend sie gedacht werden kann, nicht nur eine Utopie ist, sondern auch eine Gefahr, dass sie nicht nur Befreiung, sondern auch Überforderung ist, dass sie nicht nur Gleichheit, sondern auch neue Ungleichheit schafft, dass sie nicht nur Intensität, sondern auch Monotonie erzeugt, dass sie nicht nur Form, sondern auch Wahrheit zerstören kann, und dass sie am Ende, wenn sie sich selbst übersteigert, an sich selbst zerbrechen könnte, weil sie das Maß verloren hat.

Doch vielleicht liegt gerade hierin ihre eigentliche Wahrheit, dass sie nicht Zustand, nicht Ordnung, nicht Dauer sein kann, sondern immer Bewegung, immer Strom, immer Übergang, dass sie nicht fixierbar ist, sondern nur erfahrbar, nicht dauerhaft, sondern nur momenthaft, und dass ihre Herrschaft darin besteht, dass sie keine Herrschaft ist, sondern ein Zwang zur ständigen Veränderung, der immer Gefahr und immer Befreiung zugleich ist.

Kapitel B4 – Die Verlockung der Totalität

Wenn man die Diktatur der Kunst nicht nur als theoretische Konstruktion, nicht nur als utopisches Modell, nicht nur als radikale Umkehrung bestehender Ordnungen betrachtet, sondern sie in jener psychologischen und kulturellen Dimension ernst nimmt, die ihre eigentliche Macht ausmacht, dann erkennt man, dass ihre größte Kraft nicht in der Härte ihrer Forderung liegt, sondern in der Verlockung, die sie ausstrahlt, dass sie nicht in erster Linie durch Zwang und Gewalt wirkt, sondern durch den Sog einer Sehnsucht, die so alt ist wie die Menschheit selbst, nämlich der Sehnsucht nach einer Totalität, die den Widersprüchen des Lebens ein Ende setzt, die das Zersplitterte fügt, das Unverständliche deutet, das Chaotische in Form verwandelt, und die deshalb als Heilmittel erscheint, nicht weil sie mildert, sondern weil sie alles in sich aufnimmt, was bisher widersprüchlich war.

Denn die Kunst, wenn sie zur Totalität erklärt wird, verspricht nichts weniger als die endgültige Aufhebung jener quälenden Spaltung, die moderne Gesellschaften so tief prägt: zwischen Arbeit und Spiel, zwischen Zweck und Freiheit, zwischen Notwendigkeit und Schönheit, zwischen dem, was getan werden muss, und dem, was getan werden will, und indem sie all dies in sich vereint, indem sie jede Geste, jede Handlung, jedes Wort in Szene verwandelt, behauptet sie, die letzte Lösung für jene Komplexität gefunden zu haben, die das Leben sonst so schwer erträglich macht, und diese Behauptung wirkt nicht durch Logik, sondern durch Faszination, nicht durch Argument, sondern durch das Glänzen der Einfachheit.

Die Verlockung dieser Totalität liegt darin, dass sie dem Einzelnen verspricht, niemals mehr fragmentiert zu sein, niemals mehr zerrissen zwischen den Anforderungen der Arbeit und den Sehnsüchten der Freizeit, niemals mehr gezwungen, sich in widersprüchliche Rollen zu fügen, weil es nur noch eine Rolle gibt, und diese Rolle ist zugleich alle Rollen, und so erscheint die Diktatur der Kunst nicht als Einschränkung, sondern als Befreiung, nicht als Herrschaft, sondern als Erlösung, weil sie den Traum nährt, endlich eins zu sein, mit sich selbst, mit den anderen, mit der Welt, und dieser Traum ist so mächtig, dass er jedes Risiko überstrahlt.

Man muss bedenken, dass Totalität immer diese doppelte Kraft hat: sie vereinfacht, wo Komplexität lähmt, und sie klärt, wo Widersprüche verwirren, und gerade deshalb hat sie in der Geschichte immer wieder Anziehungskraft entfaltet, sei es in religiösen Systemen, die versprachen, jedes Leben durch ein letztes Heil zu deuten, sei es in politischen Systemen, die behaupteten, durch ein einziges Gesetz oder eine einzige Klasse alle Gegensätze zu überwinden, sei es in ökonomischen Systemen, die den Tauschwert als universales Maß aller Dinge setzten, und so ist die Diktatur der Kunst nur die jüngste, die ästhetische Gestalt dieser alten Sehnsucht, die nicht verschwindet, weil sie anthropologisch tief verankert ist: der Wunsch, dass Vielheit in Einheit aufgeht.

Wenn man diesen Wunsch ernst nimmt, dann erkennt man, dass er nicht bloß intellektuell, nicht bloß theoretisch wirkt, sondern existenziell, dass er im Alltag eine enorme Verführung entfaltet, weil er dem Einzelnen den Eindruck gibt, endlich befreit zu sein von der Last des Entscheidens, von der Mühsal des Abwägens, von der Angst, falsch zu liegen, und dass er ihn lockt mit dem Versprechen, dass es keine falschen Schritte mehr gibt, wenn alles Schritt ist, keine falschen Worte, wenn alles Wort ist, keine falschen Taten, wenn alles Tat ist, und dass dieser Gedanke nicht nur betört, sondern süchtig macht, weil er eine Ruhe verspricht, die sonst unerreichbar ist.

Die Totalität der Kunst erscheint also nicht als kalte Herrschaft, sondern als warme Umarmung, als Versprechen der Ganzheit, und in dieser Wärme liegt ihre größte Gefahr, weil sie die kritische Distanz auflöst, weil sie die Menschen nicht zwingt, sondern verführt, nicht bedroht, sondern einlädt, und weil sie damit jenen Mechanismus reproduziert, der alle totalitären Systeme kennzeichnet: dass sie nicht nur mit Gewalt herrschen, sondern mit Verheißung, dass sie nicht nur Unterdrückung sind, sondern vor allem Verlockung, und dass die Menschen nicht bloß Opfer, sondern auch Gläubige, nicht bloß Beherrschte, sondern auch Begeisterte sind.

Es ist entscheidend zu sehen, dass diese Verlockung nicht zufällig ist, sondern notwendig, dass sie aus dem Wesen der Kunst selbst hervorgeht, weil Kunst immer schon das Versprechen trägt, dass sie das Fragmentarische in Form verwandelt, das Unfassbare fassbar macht, das Chaotische strukturiert, und wenn man dieses Versprechen totalisiert, dann wird die Kunst selbst zur Religion, nicht im Sinne von Dogma, sondern im Sinne von umfassender Sinngebung, und so erklärt sich, warum die Forderung nach einer Diktatur der Kunst so leicht zu erheben, so verführerisch zu formulieren, so schwer abzuwehren ist, weil sie sich auf eine Sehnsucht stützt, die längst vorhanden ist.

Man könnte sagen, dass die Verlockung der Totalität der Kunst vor allem darin liegt, dass sie den Menschen den mühsamen Umgang mit Ambivalenz erspart, dass sie die quälende Erfahrung der Moderne, dass es keine letzte Instanz gibt, dass alles offen, relativ, verhandelbar ist, in einer Geste aufhebt, dass sie die Mühsal des Zweifelns, des Diskutierens, des Aushaltens der Differenz beendet, indem sie erklärt, dass es nur noch eine Instanz gibt, und dass diese Instanz so unverfänglich erscheint, so unverdächtig, so rein, dass kaum jemand merkt, wie radikal die Forderung ist, weil sie nicht durch Gewalt, sondern durch Schönheit begründet wird.

Diese Schönheit, die als Begründung dient, ist vielleicht das stärkste Argument, das jemals für eine Totalität ins Feld geführt wurde, denn anders als Glaube, der mit Furcht arbeitet, anders als Politik, die mit Macht arbeitet, anders als Ökonomie, die mit Bedürfnis arbeitet, arbeitet die Kunst mit dem Begehren nach Schönheit, mit dem Hunger nach Gestalt, mit der Sehnsucht nach Ausdruck, und wer diesem Hunger einmal nachgegeben hat, wird schwerlich wieder verzichten wollen, weil er gespürt hat, dass im Erleben des Kunsthaften eine Intensität liegt, die das bloß Zweckmäßige, das bloß Wahre, das bloß Funktionale nie erreichen kann.

Hier liegt der Kern der Verlockung: dass die Totalität der Kunst nicht wie andere Totalitäten gegen den Menschen arbeitet, sondern für ihn, dass sie ihm nicht nur Befehle gibt, sondern Erfüllung schenkt, dass sie ihn nicht nur diszipliniert, sondern ihm das Gefühl gibt, größer, intensiver, ganzer zu sein, und dass sie deshalb so viel schwerer zu durchschauen ist, weil sie sich als Gabe tarnt, als Geschenk, als Möglichkeit, und nicht als Zwang, nicht als Strafe, nicht als Befehl.

Doch gerade weil sie diese Form hat, ist sie gefährlich, und man muss präzise unterscheiden zwischen der Faszination, die sie ausübt, und der Realität, die sie erzeugt, zwischen der Verheißung der Ganzheit und der Praxis des Zwangs, zwischen der Wärme der Umarmung und der Kälte der Uniformität, und nur wer diese Unterscheidung wachhält, kann der Verlockung widerstehen, ohne ihr Opfer zu werden.

Wenn man den Gedanken der Verlockung noch weiter verfolgt, dann erkennt man, dass er nicht nur in der großen Geste, in der systemischen Behauptung liegt, dass die Kunst alles umfassen könne, sondern auch im Kleinen, im Alltag, im Unscheinbaren, dass er in den kleinsten Handlungen wirksam wird, dass er in dem Moment sichtbar wird, in dem ein Mensch spürt, wie sehr ein gelungener Ausdruck, ein geformtes Wort, eine komponierte Bewegung das Gefühl von Sinn steigert, und dass dieses kleine Erleben, diese kurze Erfahrung sich zu einem großen Traum verdichtet, nämlich dem Traum, dass dieses Gefühl nie enden müsse, dass man es in jeden Augenblick hinein verlängern könne, dass es kein Außen mehr geben müsse, keine profane Zone, in der Sinn fehlt, sondern dass alles durchdrungen wäre von dieser Dichte, und gerade darin liegt die stille Verführung, dass man glaubt, ein Versprechen einlösen zu können, das die Wirklichkeit nur in Ausnahmefällen hält.

Denn die Menschen kennen diese Momente, in denen ein Kunstwerk, ein Lied, ein Gedicht, ein Bild, ein Schauspiel sie so tief ergreift, dass sie nicht nur Zuschauer, sondern Teil des Werkes werden, dass sie nicht nur konsumieren, sondern mitschwingen, dass sie nicht mehr zwischen sich selbst und dem Werk unterscheiden, und diese Erfahrung ist so stark, dass sie leicht verallgemeinert wird, dass man denkt, man könne sie zur Ordnung machen, man könne aus dem Ausnahmezustand eine Dauer bauen, man könne aus der Intensität eine Institution machen, und genau in dieser Verallgemeinerung liegt die Verlockung, die sich kaum zurückweisen lässt, weil sie dem tiefsten Wunsch entspricht, Intensität festzuhalten, sie zu sichern, sie nicht mehr dem Zufall, dem Augenblick, dem Glück zu überlassen.

Man muss deshalb erkennen, dass die Verlockung der Totalität der Kunst darin besteht, den Zufall durch Sicherheit zu ersetzen, das Momenthafte durch Dauer, das Fragile durch Struktur, und dass sie gerade deshalb so stark wirkt, weil sie verspricht, dass niemand mehr auf den seltenen Augenblick angewiesen ist, in dem er ergriffen wird, dass niemand mehr fürchten muss, leer auszugehen, dass niemand mehr abhängig ist vom Zufall eines gelungenen Werkes oder einer glücklichen Begegnung, sondern dass alles immer schon Kunst ist, überall, jederzeit, und dass dieser Traum so unwiderstehlich ist, dass er selbst die klügsten Zweifel übertönt.

Doch man darf nicht verkennen, dass gerade darin die größte Gefahr liegt, denn die Intensität der Kunst lebt vom Bruch, vom Ausnahmemoment, vom Gegensatz zur Routine, und wenn sie zur Totalität wird, wenn sie nicht mehr Ausnahme, sondern Norm ist, dann verliert sie das, was sie stark macht, dann wird sie zwar allgegenwärtig, aber zugleich schal, sie wird zwar permanent, aber zugleich blass, sie wird zwar total, aber zugleich leer, und dieser paradoxe Mechanismus erklärt, warum die Verlockung so gefährlich ist: weil sie den Menschen glauben macht, sie könnten das Kunsthafte sichern, indem sie es zur Ordnung machen, während sie es in Wahrheit zerstören, indem sie es verallgemeinern.

Man könnte sagen, dass die Verlockung der Totalität eine Fata Morgana ist, dass sie einen Glanz zeigt, der verschwindet, sobald man ihn greifen will, dass sie eine Oase vorgaukelt, die nur so lange existiert, wie sie weit entfernt bleibt, und dass der Versuch, sie zu erreichen, stets im Sand endet, und doch bleibt sie wirksam, weil der Glanz stärker ist als die Erinnerung an das Scheitern, weil die Sehnsucht größer ist als die Angst, weil die Hoffnung mächtiger ist als die Erfahrung, und deshalb wiederholt sich die Bewegung immer wieder, dass Menschen glauben, sie könnten das Ausnahmehafte zur Norm machen, und dass sie dabei vergessen, dass das Ausnahmehafte nur Ausnahme sein kann, weil es nicht Norm ist.

Wenn man diesen Mechanismus präzise analysiert, dann erkennt man, dass er allen totalitären Versprechen eigen ist: sie alle leben von der Verlockung, dass Komplexität durch Einfachheit überwunden, dass Vielheit durch Einheit aufgehoben, dass Unsicherheit durch Gewissheit ersetzt werden könne, und sie alle blenden darüber hinweg, dass gerade diese Vereinfachung zerstört, was sie zu retten vorgibt, dass sie den lebendigen Kern erstickt, den sie bewahren will, und so ist die Diktatur der Kunst in ihrer Verlockung nicht anders als andere Totalitarismen, und doch ist sie schwerer zu durchschauen, weil sie nicht mit Drohung, sondern mit Schönheit lockt, nicht mit Gewalt, sondern mit Gestalt, nicht mit Strafe, sondern mit Sinn.

In dieser Besonderheit liegt zugleich ihre gefährlichste Dimension, denn während religiöse oder politische Totalitarismen oft relativ schnell ihre Härte zeigen, ihre Gewalt, ihre Dogmatik, und damit Widerstand hervorrufen, könnte die Diktatur der Kunst viel tiefer, viel stiller, viel langsamer wirken, könnte sie sich unauffälliger einschleichen, weil sie den Menschen ja nicht wegnimmt, sondern gibt, weil sie nicht verbietet, sondern erfüllt, und weil es schwer fällt, etwas zu kritisieren, das Freude bringt, das Intensität schenkt, das Schönheit verbreitet, und doch muss man gerade deshalb so wachsam sein, weil die Verlockung der Totalität dort am größten ist, wo sie am freundlichsten erscheint.

So könnte man am Ende sagen, dass die Verlockung der Totalität der Kunst nicht in ihrer Radikalität liegt, sondern in ihrer Harmlosigkeit, dass sie nicht in der Härte des Zwangs liegt, sondern in der Sanftheit der Verheißung, dass sie nicht im Offensichtlichen liegt, sondern im Selbstverständlichen, und dass sie deshalb so schwer zu entlarven ist, weil sie sich als das Beste zeigt, was man haben kann, als das Schönste, das man erleben kann, als die höchste Form von Sinn, und wer wollte dem widersprechen, wer wollte die Schönheit, die Intensität, den Ausdruck zurückweisen, wenn sie sich darbieten, und doch muss man es tun, wenn man nicht in die Falle gehen will, wenn man nicht von der Verlockung verschlungen werden will, die am Ende nicht Erlösung, sondern Enge bringt.

Kapitel B5 – Die Unmöglichkeit der Herrschaft

Wenn man die Idee einer Diktatur der Kunst nicht nur in ihrer Schönheit und Verlockung, nicht nur in ihrer möglichen Ordnung und in ihren Gefahren betrachtet, sondern den Versuch unternimmt, sie im strengsten Sinn auf ihre Möglichkeit hin zu prüfen, dann stößt man unweigerlich auf den Widerspruch, dass Kunst und Herrschaft einander ausschließen, dass Kunst gerade dort lebt, wo Herrschaft scheitert, dass sie ihre Kraft gerade daraus bezieht, dass sie Ausnahme ist, Bruch, Unterbrechung, Spiel gegen das Gesetz, und dass sie, sobald sie selbst zum Gesetz erklärt wird, aufhört, Kunst zu sein, und in dieser Paradoxie liegt der Grund, warum die Diktatur der Kunst zwar gedacht, gefordert, ersehnt werden kann, aber nie dauerhaft verwirklicht werden wird.

Denn Kunst, so sehr sie sich in allen Lebensbereichen ausbreiten mag, so sehr sie den Alltag durchdringen und das Denken bestimmen kann, bleibt ihrem Wesen nach an das Momenthafte gebunden, an die Überraschung, an die plötzliche Geste, die sich der Erwartung entzieht, und sobald sie verregelt oder geregelt wird, sobald sie institutionalisiert, sobald sie normiert wird, verliert sie diesen Charakter, wird sie nicht mehr Ausnahme, sondern Routine, nicht mehr Unterbrechung, sondern Fortsetzung, und Routine ist das Gegenteil von Kunst, Fortsetzung ist das Gegenteil von Bruch, Norm ist das Gegenteil von Überraschung, und so würde eine Gesellschaft, die alles zur Kunst erklärt, am Ende eine Gesellschaft schaffen, in der es keine Kunst mehr gibt, sondern nur noch die tote Form ihrer eigenen Verallgemeinerung.

Man könnte dies auch so formulieren: Kunst ist Bewegung, Herrschaft ist Stillstellung, Kunst ist Offenheit, Herrschaft ist Schließung, Kunst ist Mehrdeutigkeit, Herrschaft ist Eindeutigkeit, Kunst ist Geste, Herrschaft ist Struktur, und weil diese Gegensätze unaufhebbar sind, kann die Diktatur der Kunst niemals mehr sein als Denkfigur, niemals mehr sein als Modell, niemals mehr sein als Versuch, in Worte zu fassen, was sich in Wirklichkeit nie in Dauer übersetzen lässt, weil Dauer immer das zerstört, was sie erhalten will.

Es ist in diesem Sinn kein Zufall, dass alle Versuche, Kunst zu institutionalisieren, sie festzuschreiben, sie als Maßstab zu verordnen, in sich widersprüchlich wirken, dass Museen, die Kunst konservieren, zugleich Kunst töten, dass Akademien, die Kunst lehren, zugleich ihre Spontaneität ersticken, dass Staaten, die Kunst fördern, zugleich bestimmen wollen, was Kunst sei, und dass all diese Versuche scheitern, weil Kunst dort, wo sie gezwungen wird, wo sie normiert wird, wo sie Herrschaftsform wird, sich entzieht, zerfällt, verschwindet und an einem anderen Ort wiederkehrt, wo man sie nicht erwartet, wo man sie nicht kontrolliert, wo man sie nicht festhalten kann.

Man muss deshalb anerkennen, dass die Diktatur der Kunst, so faszinierend sie als Modell sein mag, an der Praxis scheitern muss, weil Praxis Institution erfordert, weil Praxis Dauer erfordert, weil Praxis Organisation erfordert, und all das sind genau jene Bedingungen, die Kunst nicht verträgt, die sie nicht nur schwächen, sondern vernichten, und wer dennoch versucht, sie zu halten, wird nicht die Diktatur der Kunst errichten, sondern nur eine Diktatur im Namen der Kunst, die nichts anderes ist als das Gegenteil dessen, was sie versprach.

Die Unmöglichkeit dieser Herrschaft zeigt sich auch darin, dass Kunst immer an Differenz gebunden ist, dass sie immer etwas anderes braucht, das sie unterbrechen kann, dass sie nur dort wirken kann, wo sie gegen das Gegebene antritt, wo sie bricht, wo sie widerspricht, wo sie etwas anderes entwirft, und dass sie, sobald sie alles ist, kein Anderes mehr hat, gegen das sie sich absetzen kann, und deshalb erlischt, wie ein Feuer, das kein Holz mehr findet, wie ein Spiel, das keinen Gegner mehr kennt, wie eine Sprache, die keine Fremdheit mehr erfährt, und so müsste man sagen, dass die Diktatur der Kunst an ihrer eigenen Totalität stirbt, weil sie die Differenz vernichtet, die sie nährt.

Wenn man sich dies im Alltag vorstellt, dann sieht man, wie schnell die Verzauberung kippt: Ein Mensch, der weiß, dass jede Bewegung, jedes Wort, jede Geste Szene ist, hört auf, überrascht zu sein, hört auf, verzaubert zu sein, weil es nichts anderes mehr gibt, weil alles Erwartung ist, und deshalb kann er nicht mehr Kunst erfahren, sondern nur noch Wiederholung, und Wiederholung ist das Gegenteil von Kunst, selbst wenn sie kunstvoll ist, weil sie die Dimension der Überraschung verloren hat.

Es zeigt sich auch in der Sprache: Wenn jedes Wort Dichtung ist, dann verliert Dichtung ihren Charakter, weil es keinen Unterschied mehr gibt zwischen dem Gedicht und dem Gespräch, zwischen der Formulierung und der Mitteilung, und gerade dieser Unterschied ist es, der das Gedicht als Gedicht erfahrbar macht, und wenn er verschwindet, verschwindet das Gedicht, nicht weil es nicht mehr geschrieben, sondern weil es nicht mehr als Gedicht erlebt wird, und dies ist das Schicksal jeder Totalität: dass sie die Erfahrung dessen zerstört, was sie absolut setzt.

Man könnte auch Szenen entwerfen, in denen man diese paradoxe Logik spürt: ein Theater, das nicht mehr Aufführung für einen Abend, für ein Publikum, für einen bestimmten Moment ist, sondern permanentes Theater, allgegenwärtig, nie endend, nie unterbrochen, und das Publikum, das in solch einem Theater lebt, verliert nicht nur die Lust, sondern auch die Fähigkeit, Theater als Theater zu begreifen, weil es keinen Außen mehr gibt, und was keinen Außen hat, verliert sein Innen, was keine Grenze hat, verliert seine Gestalt, und so verwandelt sich die totale Bühne in eine Landschaft der Leere, in der nichts mehr Theater ist, weil alles Theater ist.

Ähnlich wäre es mit der Musik: Wenn jede Handlung, jeder Schritt, jeder Atemzug Musik ist, dann hört man nicht mehr, weil das Ohr keinen Unterschied mehr spürt, weil der Klang nur noch Dauer ist, und Dauer ist kein Klang, weil er keine Pause kennt, keine Stille, keine Grenze, und deshalb ist die Diktatur der Musik, die Diktatur des Klanges, immer zugleich ihr Ende, weil sie die Differenz zwischen Musik und Geräusch, zwischen Klang und Stille, zwischen Ton und Pause vernichtet, und ohne diese Differenz gibt es keine Musik.

Dieses Prinzip lässt sich auf jede Form der Kunst übertragen: Die Malerei verliert sich, wenn jede Oberfläche Bild ist, die Dichtung verliert sich, wenn jede Sprache Gedicht ist, die Architektur verliert sich, wenn jeder Raum Skulptur ist, und so zeigt sich, dass die Diktatur der Kunst, indem sie alles zur Kunst erklärt, nichts mehr zur Kunst macht, dass sie im Moment ihrer totalen Herrschaft ihren eigenen Gegenstand auflöst und dass deshalb die Herrschaft der Kunst unmöglich ist, weil sie in ihrer Erfüllung ihre Negation findet.

Doch um die Unmöglichkeit wirklich zu begreifen, muss man sie nicht nur theoretisch, sondern praktisch durchdenken: Man stelle sich eine Schule vor, in der nicht mehr Wissen vermittelt, sondern jedes Wort, jede Geste, jeder Schritt als künstlerische Handlung bewertet wird, in der nicht mehr zählt, ob ein Schüler die Rechenaufgabe lösen kann, sondern ob er die Lösung in eine Szene verwandelt, ob er die Form des Ausdrucks beherrscht, und man sieht sofort, dass die Schule in diesem Augenblick ihre Funktion verliert, dass sie nicht mehr Bildung, sondern Aufführung ist, und dass sie damit jene Grundlage zerstört, die Bildung überhaupt erst möglich macht.

Man stelle sich ein Gericht vor, in dem nicht mehr Gerechtigkeit gesucht wird, sondern ästhetische Form, in dem nicht mehr Wahrheit, sondern Schönheit über Schuld und Unschuld entscheidet, in dem das Plädoyer nicht überzeugen, sondern bezaubern soll, und man erkennt sofort, dass das Gericht in diesem Augenblick aufhört, Gericht zu sein, dass es nicht mehr Ordnung, sondern Theater ist, und dass es deshalb keine Gerechtigkeit mehr geben kann, weil sie im Glanz der Rhetorik, im Schimmer der Inszenierung untergeht.

Oder man denke an ein Krankenhaus, in dem nicht mehr Heilung das Ziel ist, sondern Schönheit, in dem der Arzt nicht mehr heilt, sondern inszeniert, in dem die Operation nicht mehr gelingt, sondern ästhetisch wirkt, und man sieht, dass der Patient stirbt, dass die Heilung versagt, dass die Kunst hier nicht nur nutzlos, sondern tödlich wäre, und dass deshalb die Herrschaft der Kunst unmöglich ist, weil sie dort, wo sie alles bestimmt, das Leben selbst zerstört.

In diesen Beispielen wird sichtbar, dass die Diktatur der Kunst nicht nur an inneren Paradoxien scheitert, sondern an der Praxis, dass sie nicht nur theoretisch unmöglich ist, sondern existenziell, weil sie in jenen Bereichen, in denen das Leben selbst auf dem Spiel steht, nicht tragfähig ist, und dass sie deshalb nicht nur unwahrscheinlich, sondern widersinnig ist, weil sie den Boden zerstört, auf dem sie selbst steht.

Man könnte auch fragen, ob vielleicht die größte Stärke der Kunst, ihr flüchtiger, ungreifbarer, momenthafter Charakter, zugleich ihre größte Schwäche im Hinblick auf Herrschaft ist, weil Herrschaft Dauer verlangt, Stabilität, Vorhersehbarkeit, und weil Kunst all dies nicht geben kann, weil sie sich immer wieder entzieht, weil sie aus dem Bruch lebt, aus dem Neuen, aus dem Überraschenden, und so ist die Idee, dass sie dauerhaft herrschen könne, so, als wollte man den Wind einfangen, das Feuer festhalten, den Fluss zum Stillstand bringen, und jeder dieser Versuche zerstört nicht nur das Element, sondern auch seine Wirkung, weil Wind, Feuer, Fluss nur in der Bewegung existieren.

So bleibt am Ende die Einsicht, dass die Diktatur der Kunst nicht nur eine unmögliche Herrschaft ist, sondern dass sie selbst im Moment, in dem sie gedacht wird, schon an ihrem eigenen Anspruch zerbricht, weil Herrschaft Ordnung ist und Kunst Unordnung, weil Herrschaft Dauer ist und Kunst Moment, weil Herrschaft Zwang ist und Kunst Freiheit, und dass dieser Widerspruch nicht aufhebbar ist, sondern das Wesen beider bestimmt.

Doch in dieser Unmöglichkeit liegt zugleich eine andere Wahrheit, nämlich dass die Kunst gar nicht herrschen muss, um zu wirken, dass sie gerade in ihrer Unmöglichkeit, Herrschaft zu sein, ihre größte Stärke hat, weil sie nicht bindet, sondern löst, nicht ordnet, sondern stört, nicht erhält, sondern verwandelt, und dass die Forderung nach ihrer Herrschaft vielleicht gar nicht ernst genommen werden muss als politische Möglichkeit, sondern als Denkfigur, die sichtbar macht, dass es eine Macht gibt, die nicht herrscht, und dass dies vielleicht die wichtigste Macht von allen ist.

Es wird letztendlich deutlich: Die Diktatur der Kunst ist unmöglich, aber in ihrer Unmöglichkeit liegt ihre Wahrheit, und diese Wahrheit besteht darin, dass sie nicht System, sondern Störung ist, nicht Ordnung, sondern Ausnahme, nicht Dauer, sondern Moment, und dass sie nur so wirken kann, indem sie nie zur Herrschaft wird, sondern immer nur zur Geste, zur Unterbrechung, zur plötzlichen Irritation, die alles verwandelt, aber niemals bleibt.

Kapitel B6 – Offene Schlussfolgerung

Wenn man die Idee der Diktatur der Kunst von allen Seiten betrachtet hat, wenn man sie nicht nur in ihrer Schönheit, in ihrer Verlockung, in ihrer Ordnung, in ihren Gefahren, sondern auch in ihrer Unmöglichkeit durchdacht hat, dann bleibt am Ende die Frage, wie man mit ihr umgeht, was sie bedeutet, welche Wahrheit sie enthält, wenn sie doch nicht als realer Zustand, nicht als dauerhaftes System, nicht als institutionelle Ordnung möglich ist, und vielleicht liegt die Antwort gerade darin, dass ihre Wahrheit nicht in der Verwirklichung, sondern im Denken liegt, dass sie nicht Programm, sondern Perspektive ist, nicht Gesetz, sondern Kritik, nicht Institution, sondern Spiegel, und dass sie deshalb offenbleiben muss, unvollständig, unabgeschlossen, weil gerade in dieser Offenheit ihre größte Stärke liegt.

Denn die Diktatur der Kunst, so sehr sie als totalitäre Ordnung gedacht werden kann, so sehr sie in der Radikalität eines Manifestes gefordert, so sehr sie in der Reflexion als Möglichkeit geprüft, so sehr sie in den Beispielen als Gefahr oder Paradox beschrieben wurde, ist in Wahrheit nichts anderes als eine Denkfigur, ein Bild, das sichtbar macht, was in unserer Gegenwart fehlt, was verdrängt wird, was bedroht ist, nämlich die Kraft der Kunst, das Leben zu verwandeln, die Fähigkeit, Ordnung zu unterbrechen, die Möglichkeit, Sinn nicht nur zu reproduzieren, sondern neu zu schaffen, und indem man diese Figur denkt, gewinnt man nicht eine neue Ordnung, sondern einen neuen Blick auf die bestehende.

Man könnte sagen, dass die Diktatur der Kunst nicht als Zukunft zu verstehen ist, sondern als Kritik der Gegenwart, dass sie nicht beschreibt, wie Gesellschaft sein soll, sondern wie sie geworden ist, dass sie nicht vorschlägt, eine totale Ordnung zu errichten, sondern dass sie zeigt, wie sehr unsere Ordnungen bereits an der Abwesenheit von Kunst leiden, wie sehr sie verarmt sind, wenn sie Kunst nur als Dekor, als Zusatz, als Freizeitbeschäftigung behandeln, und dass sie deshalb provoziert, indem sie sagt: Denkt euch eine Gesellschaft, in der Kunst nicht Rand, sondern Mitte ist, und fragt euch dann, was ihr an eurer eigenen Gesellschaft vermisst.

So gesehen ist die Diktatur der Kunst weniger ein Entwurf als eine Methode, weniger ein Ziel als ein Werkzeug, weniger eine Ordnung als ein Spiegel, in dem man erkennt, wie sehr man sich nach Totalität sehnt und wie sehr man sie zugleich fürchten muss, wie sehr man Ganzheit wünscht und wie sehr man sie nicht ertragen würde, wie sehr man Schönheit sucht und wie sehr man sie zerstört, wenn man sie institutionalisieren will, und in diesem Spiegel erkennt man nicht nur die Kunst, sondern auch sich selbst, nicht nur die Utopie, sondern auch die Angst, nicht nur die Hoffnung, sondern auch das Scheitern.

In dieser Hinsicht könnte man auch sagen, dass die Diktatur der Kunst eine doppelte Wahrheit hat: sie ist notwendig und unmöglich zugleich, notwendig, weil sie uns zwingt, das Leben aus der Perspektive der Kunst zu sehen, weil sie uns vor Augen führt, wie sehr Kunst alles verwandeln könnte, unmöglich, weil sie in der Verwirklichung sich selbst zerstören würde, weil sie das verliert, was sie ausmacht, wenn sie zur Ordnung wird, und diese doppelte Wahrheit ist nicht Widerspruch, sondern Bedingung, nicht Scheitern, sondern Sinn, weil sie zeigt, dass die Kraft der Kunst gerade darin liegt, dass sie nie abgeschlossen ist, nie endgültig, nie fixiert, sondern immer offen, immer flüchtig, immer unterbrechend.

Wenn man dies ernst nimmt, dann versteht man auch, dass die Diktatur der Kunst nicht mit anderen totalitären Systemen verwechselt werden darf, dass sie nicht wie politische, religiöse, ökonomische Totalitarismen eine geschlossene Welt bauen will, sondern dass sie gerade im Gegenteil jede geschlossene Welt aufbricht, dass sie nicht ein Gefängnis baut, sondern ein Fenster öffnet, dass sie nicht Sicherheit verspricht, sondern Unsicherheit produziert, und dass sie gerade deshalb als Denkfigur so stark ist, weil sie uns zwingt, die Verlockung und die Gefahr der Totalität zugleich zu denken, ohne uns in der Illusion zu verlieren, sie verwirklichen zu können.

Vielleicht ist die offene Schlussfolgerung deshalb, dass die Diktatur der Kunst als Idee notwendig bleibt, weil sie uns vor Augen führt, wie sehr wir nach Ganzheit streben, wie sehr wir uns nach Sinn sehnen, wie sehr wir Intensität verlangen, und wie sehr wir zugleich scheitern, wenn wir versuchen, all dies dauerhaft zu sichern, und dass sie uns gerade deshalb lehrt, im Moment zu leben, im Bruch, im Spiel, in der Unterbrechung, und nicht in der Dauer, nicht in der Institution, nicht in der Ordnung, weil Dauer, Institution, Ordnung notwendig sind, um das Leben zu tragen, aber weil sie ohne Unterbrechung, ohne Bruch, ohne Spiel tödlich sind, und die Kunst ist jene Kraft, die diesen Bruch immer wieder hervorbringt.

So wäre die Diktatur der Kunst im letzten Sinn keine Herrschaft, sondern ein Prinzip der Kritik, kein System, sondern eine Haltung, keine Ordnung, sondern ein Impuls, der sich immer wieder erneuert, der niemals aufhört, der niemals Ruhe gibt, und der gerade deshalb für jede Gesellschaft, die lebendig bleiben will, unverzichtbar ist, auch wenn er nie verwirklicht, nie verordnet, nie institutionalisiert werden kann.

So bleibt sie offen, diese mysteriöse Figur, bleibt sie unvollständig, bleibt sie unabgeschlossen, und vielleicht ist dies das Einzige, was man am Ende wirklich sagen kann: dass die Diktatur der Kunst nicht erfüllt werden darf, weil sie sich sonst selbst zerstört, dass sie aber auch nicht vergessen werden darf, weil sie sonst ihre Kraft verliert, und dass sie nur dann wirkt, wenn sie immer wieder gedacht, immer wieder gefordert, immer wieder verworfen, immer wieder neu erdacht wird, und dass ihre Wahrheit nicht in der Dauer, sondern in der Wiederkehr liegt.